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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

das Geschoß nahm nach und nach die Gestalt eines Mikroskops an, ohne aber seine Eigenschaft als Wurfgeschoß aufzugeben. Aus dieser Kanone der Wissenschaft, die nur mit Gedanken und Thatsachen schießt, sprühten im schönsten Feuer die wunderbarsten Figuren und Gestalten heraus, die lachend und jubelnd durch die Luft fuhren und in ihren wunderbar merkwürdigen Formen als die Geschöpfe einer neuen unbekannten Welt erschienen. Unzweifelhaft unterstützte das Geschoß den Kampf des Bockes, denn deutlich konnte ich bemerken, wie die Flaschen und Doctoren auch vor diesem erschrocken und wuthentbrannt, als sähen sie ihre eigene Schande verkörpert, zurückwichen.

Noch erstaunt über die neue Welt der Wunder, die sich im Mikroskope entfaltete und als klare Thatsache an das Tageslicht geschleudert ward, mußte ich schon wieder erschrocken meine Blicke nach Rechts wenden, von wo sich ein lautes Pusten und Knarren hören ließ. Eine sonderbar komische Gesellschaft wälzte sich da heran. Maschinen mit Menschengesichtern und dürren Spindelbeinen polterten einher, ein Dampfwagen rannte wie ein Pferd davon, eine Locomotive segelte durch die Lüfte, während eine Art Windofen, die Arme in die Seite gestemmt, nach Holz schrie. Die compakte Masse rückte unaufhaltsam vorwärts, wie viel Hindernisse sich auch entgegenstemmten, und je weiter sie vorwärts drangen, desto größer ward ihre Zahl, desto gewaltiger ihre Wirkung.

     War mir von alledem so dumm.
     Als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum,

so athmete ich wieder freier auf, und das süße Gefühl des Wohlbehagens kam über mich, als ich meine Blicke nach Oben richtete. Dort, wie in weiter Ferne, lag das Land der Romantik, das schöne Thüringen mit seinen Bergen und Burgen und von dort herauf kam ein mir wohlbekannter Storch geflogen, Blüthen und Früchte bringend in wunderbarer Schöne, wie sie jetzt immer seltener werden. Mit dieser Aussicht zugleich öffnete sich ein weiter Horizont und als ob in der phantastischen Laube Alles verkörpert werden müßte, was die gedruckte während eines ganzen Jahres geschildert, so entwickelten sich aus dem Dunstkreis das weite, weite Meer mit seinen Klippen und Schiffen, die transatlantischen Gestade mit ihren Alligatoren und kühnen Jägern, das ferne Australien mit seiner Zeltenwelt.

Im Vordergrunde aber und im weiten Talare saß der lorbeerumkränzte Barde, und wie seine Harfe erklang und seinem Munde sinnige Lieder entströmten, verschwanden nach und nach die Gebilde und nur im letzten Augenblicke, als die Schatten der Nacht schon wieder mein trautes Zimmerchen bedeckten, sah ich noch, wie ein kleiner Gnome auf meinem Bette kauzte, der mit kunstfertigem Griffel die gespenstigen Gebilde auf das Papier hinzauberte und sich dann empfahl.

Andern Morgens als ich erwachte, lag die beifolgende Zeichnung auf meinem Nachttische.




Blätter und Blüthen.

Zuchthaus-Industrie. Auf einem Schranke des Kammergerichts zu Berlin steht noch jetzt ein kleines hölzernes Werkzeug, in welchem der zufällig auf das Geräth fallende Blick eine Presse nach Art der Kartenpressen erkennt. Unbeachtet steht sie da, hoch mit Staub bedeckt, und dennoch legt dieses unscheinbare Ding Zeugniß dafür ab, bis zu welcher unglaublichen Höhe der menschliche Erfindungsgeist die Industrie treiben kann. Denn diese Presse hatte zur Fabrikation falscher Kassenanweisungen gedient, welche – im Zuchthause zu Brandenburg von den dortigen Züchtlingen angefertigt worden waren. – Die Sache klingt so unglaublich, daß wir uns veranlaßt finden, zum Beweise für den oben aufgestellten Satz von dem menschlichen Erfindungsgeiste alle die näheren Umstände anzuführen, welche die Untersuchung über diese höchst merkwürdige Falschmünzerei ergab. –

In dem Zuchthause zu Brandenburg saß ein Individuum seine Strafe für die Verfertigung falscher Kassenanweisungen ab. Dieser kunstfertige Mensch lag in dem großen Schlafsaal mit etwa 60 Genossen beisammen. Ganz natürlich kam bei der allgemeinen Unterhaltung, die trotz aller Verbote und strenger Aufsicht sehr häufig während der Nacht stattfand, die Rede auf die Veranlassung seiner Bestrafung, und ohne dieselbe zu bemänteln, rühmte er sich vielmehr einer so großen Geschicklichkeit, daß er sagte, er getraute sich, aus freier Hand die Kassenanweisungen mit der täuschendsten Aehnlichkeit nachzumachen, wenn er nur das nöthige Material hätte, zumal da es ihm glücklich gelungen wäre, das Hauptrequisit zu der ganzen Fabrikation – ein Fläschchen mit der Tinktur zur Nachahmung des Wasserzeichens – mit sich herein zu bringen. Durch diese Mittheilung wurde schnell der Gedanke erweckt, unter allgemeiner Mitwirkung sämmtlicher Schlafgenossen und auf allgemeine Rechnung – also nach den Gesetzen des Communismus – falsche Kassenanweisungen zu machen. Die Vortrefflichkeit des Gedankens leuchtete sogleich Allen ein, eben so aber auch die Schwierigkeit der Ausführung, denn es fehlte dazu nicht weniger als Alles, und wie sollte man sich die Platten zur Gravirung, die Grabstichel, das Holz zu der Presse, ganz besonders aber das erforderliche Papier verschaffen. Doch für dies Alles wurde bald Rath geschafft. – Indem Jeder aus dem Boden seines zinnernen Trinkbechers ein unbemerkbares Wenig abschabte, gewann man das Blei zu der Platte. – Durch Reibung von Holz wurde Feuer angezündet, das man mit Stroh aus den Strohsäcken unterhielt und bei welchem man das Blei in Platten goß. Diese wurden an den Maschinen glatt geschliffen. Windeisen, die man vor den geflochtenen Drahtgittern abbrach und ebenfalls an den Maschinen schliff, gaben die Grabstichel her. Aus dem Bretterboden der Bettstellen wurde die oben erwähnte Presse gefertigt, wobei Glasscherben die Stelle des Messers und Hobels versahen.

Während alle diese Vorbereitungen vor sich gingen, was der nöthigen Vorsicht wegen natürlich nur mit bedeutendem Zeitverlust möglich war, trachteten sämmtliche Theilnehmer mit dem emsigsten Fleiße danach, sich Papierstückchen zu verschaffen, groß genug zu dem berüchtigten Zwecke, und es gelang auch in der That, davon auf den verschiedenartigsten und sinnreichsten Wegen eine solche Quantität herbeizuschaffen, daß der Druck sogleich begonnen werden konnte, als sämmtliche Maschinen-Geräthschaften dazu fertig waren. Die erste Probe fiel sehr günstig aus, und nach einigen kleinen Verbesserungen ließ das Fabrikat nichts zu wünschen übrig.

Geld hatte die Gesellschaft des großen Schlafsaales nun mehr als sie gebrauchen konnte, denn die Verausgabung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_574.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)