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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Bewohner zeugendes Besitzthum war eine zum Dorfe Fürstenwalde gehörige Mühle, welche eine Stunde vom Städtchen Lauenstein entfernt, in einem nach Nordwesten sich verflachenden Thale nahe der böhmischen Grenze lag, und von dem Müller, Gottlob Bär, den Namen führend, unter der Bezeichnung „die Bärenmühle“ den Bewohnern der Umgegend bekannt war.

An einem rauhen Septembertage des Jahres 1692 standen die Räder dieser Mühle still, sowie schon längere Zeit vorher das Geklapper derselben die ernste Ruhe, welche in der schaurig-wilden Thalschlucht herrschte, in der dieselbe stundenweit entfernt von den Wohnungen der Menschen lag, nicht unterbrochen hatte. Das Schindeldach, welches das Wohngebäude deckte, war lückenhaft und dürftig ausgeflickt und mit durch Steine beschwerte Bretter bedeckt, die einer Umfriedung entnommen waren, deren letzte Reste in einigen verfaulten Planken und Pfählen bestanden, und den Hof der Mühle von einem kleinen Garten trennten, dessen reinlich gehaltene Fußwege und von Unkraut gesäuberte Beete, an deren Endpunkte eine Geisblattlaube sich befand, auffallend abstachen gegen den Verfall des Mühlengebäudes, und das Vorhandensein eines Wesens verriethen, dessen Hand sich sorgsam der Pflege dieses kleinen Raumes gewidmet und es zum Lieblingsplätzchen sich erwählt zu haben schien. – Schuppen und Stallgebäude wetteiferten mit einander an Hinfälligkeit, im Hofe selbst lagen Balken, Schutt- und Steinhaufen, und nur der Weg zum Gärtchen war frei von Gerülle und längst nicht mehr in Gebrauch gewesenen landwirthschaftlichen Geräthschaften. Einige Hühner scharrten emsig auf einem Düngerhaufen, welcher dicht hinter dem offenen Thorwege sich erhob und mit Kürbispflanzen bedeckt war, während der Haushahn, auf einem Pfeiler des Thores stehend, sein heiseres Gekräh erhob und ein halb verhungerter Kettenhund mißgünstig eine Katze betrachtete, die auf der am Hause befindlichen Steinbank sich mit Wohlbehagen zusammengerollt hatte und, Dank der in der Mühle und dem Gehöfte überhand genommenen Mäuse und Ratten, das einzige frei von Nahrungssorgen sich fühlende Geschöpf in diesem Besitzthum zu sein schien, welche letzteren um so drückender auf dem Müller lasteten, der jetzt mit seiner Tochter und einer alten Magd in das kleine Wohnzimmer des Erdgeschosses trat und an einem Tische Platz nahmen, auf welchem eine Schüssel mit Mehlbrei, ein Brot und ein Stück Quark das frugale Abendbrot dieser Familie bildeten. Schweigend setzten sich diese drei Personen zu Tische, schweigend verzehrte jedes derselben seinen Theil der Mahlzeit und schweigend trug die Magd die leergewordene Schüssel und den Rest des Brotes hinaus, indeß die Tochter, ein zur lieblichen Jungfrau heranreifendes Mädchen von siebzehn Jahren, von schlankem Wuchs und zartem Körperbau, sich an ein Spinnrad setzte, welches im Hintergrunde des Zimmers stand, und von Zeit zu Zeit mit banger Besorgniß ihr von langen braunen Locken umwalltes blasses Antlitz erhob und mit stiller Wehmuth den Müller betrachtete, welcher allein am Tische sitzen geblieben war und starr für sich hinsehend, mit seinem Messer eine Brotrinde gedankenlos zerschnitt und die Stückchen derselben aufeinander häufte. –

Kummer und Noth hatten des Müllers Haar vor der Zeit grau gefärbt und die hohe kräftige Mannesgestalt desselben gebeugt, obgleich er nicht älter als fünfzig Jahre war. Früher im Wohlstand, hatte der plötzliche Tod seiner Frau, mit welcher er stets glücklich gelebt, ihn mit finsterer Schwermuth erfüllt und ihm sein Stillleben daheim verbittert, so daß selbst seine Tochter, das einzige Wesen, an welchem der gramerfüllte finstere Mann mit inniger Liebe hing, ihn nichts mehr fesseln konnte, wie früher fleißig sein Geschäft zu betreiben und sein Hauswesen zu überwachen. Indeß der Müller Zerstreuung in den Wirthshäusern der Umgegend suchte und oft spät in der Nacht erst heimkehrte, war Agathe, welche, als die Mutter starb, noch nicht dreizehn Jahre zählte, mit einer alten Dienstmagd allein, während ein Mühlbursche, dem die Führung des Mühlengeschäfts unbewacht überlassen blieb, dasselbe nur nachlässig betrieb und seines Weges ging, als die Kunden nach und nach wegblieben und Noth und Mangel an die Stelle des bisherigen Wohlstandes trat, indeß Spiel- und Zechgelage das Vermögen des Müllers verschlangen und nach wenigen Jahren der bisher für reich gehaltene Gottlob Bär ein armer Mann geworden war, der nichts mehr sein nannte, als ein tiefverschuldetes baufälliges Besitzthum, aus welchem ihm wegen rückständiger Zinsen binnen Kurzem sein Gläubiger, der reiche aber hartherzige Kratzhammerbesitzer Urban Fleck bei Lauenstein, zu vertreiben drohte.

Agathe war während dieser den Ruin ihres häuslichen Wohlstandes herbeiführenden Lebensweise des Vaters zur Jungfrau herangewachsen und hatte frühzeitig schon den stillen Harm kennen gelernt, der die frischen Blüthen des jugendlichen Frohsinns vernichtet; die Klagen der alten Magd, welche sie von Kindheit an gepflegt und gewartet, über des Vaters wüstes Treiben, hatten ihr Herz mit bitterem Schmerz erfüllt, und vergebens hatte sie denselben unter Thränen beschworen, abzulassen von dieser zum Verderben führenden Lebensweise. Der Müller war tieferschüttert aus dem Hause geeilt, um der Tochter Kummer nicht vor Augen zu haben, und hatte wohl oft sich gelobt, fern zu bleiben von Wirthshaus und Spielbank, aber je tiefer er in Schulden versank, je verzweiflungsvoller hatte er nach Allem gegriffen, was er noch an Werth besessen und aufzutreiben vermochte, um es im Spiel zu wagen, in wahnwitzigem Hoffen, wieder zu gewinnen, was er seit Jahren verloren.

So war er eines Nachts spät nach Hause zurückgekehrt, sich und seinen Unstern verwünschend, denn wieder hatte er Alles verloren, was er an Geld und Geldeswerth bei sich getragen, aber statt daß er, wie gewöhnlich, seine Tochter nebst der Magd in Schlaf versunken zu finden glaubte, sah er Licht durch die Fensterladen der Wohnstuhe flimmern, und als er in diese eintrat, fand er Agathen und die Magd, beide wach, beide mit von Thränen gerötheten Augen ihn vorwurfsvoll anblickend. Ohne ein Wort an ihn zu richten, ging die alte Magd nach ihrer Schlafkammer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_534.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)