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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

weichmüthige Stimmung ließ ihn auch seines Bruders, gedenken, dessen Schloß so freundlich zu ihm heraufblickte. Noch hatte er sich nicht mit ihm ausgesöhnt und doch lächelte die Sonne so gnadenreich auf dessen Wohnsitz herab, als wolle der Himmel dadurch zu erkennen geben, daß er dem Besiegten vor Andern hold sei.

Rasch in seinen Beschlüssen, wandte Erich sein Roß und trabte heitern Sinnes, von nur wenigen Mannen seines Gefolges begleitet, hinab in’s Schleithal, um nach längerer Zeit den finstern Bruder wieder einmal zu sehen. Er glaubte, dieser Besuch werde ihm Glück bringen und seine Unternehmung gegen die Holsten an der Eider fördern helfen.

Herzog Abel hatte sich eines so unerwarteten Gastes nicht versehen; er war aber sehr erfreut, den ihm verhaßten Bruder zu so glücklicher Stunde bei sich sehen zu sollen. Als ihm der königliche Herr angemeldet ward, ging Abel seinem Bruder mit der freundlichsten Miene, die er erheucheln konnte, entgegen, begrüßte ihn an der Pforte der festen Burg, half ihm liebreich aus dem Nachen, der ihn vom Festland herüber an die Insel getragen hatte, und geleitete ihn unter den Versicherungen brüderlicher Liebe in das Innere der Jurisburg.

Beide Brüder verkehrten recht einträchtig zusammen, so daß es schien, als hätten sie sich wirklich von Herzen versöhnt. Abel besonders war die Freundlichkeit selbst. Als man sich an Speise und Trank gelabt, nahm man seine Zuflucht zum Brettspiel, das in jenen Tagen in eben so hohem Ansehen stand als heutzutage das Kartenspiel, wohlzumerken mit französischen Karten! Erich hatte Glück, Abel verlor. Des Letzteren Tochter brachte den spielenden Brüdern ein paar Humpen Wein. Da sprach Herzog Abel, das Trinkhorn ergreifend und es zum Gruße gegen König Erich aufhebend:

„Erinnerst Du Dich noch der vergangenen Tage, wo Du mir gegenüber ebenso im Glücke warest, wie jetzt? Es war nicht weit von hier. Damals verfolgtest Du Deinen Vortheil mit solchem Eifer, daß ich mit den Meinigen kaum Deinem Zorne enteilen konnte. Besonders übel erging es meiner Tochter. Sie mußte baarfuß fliehen und in rauchigen Hütten bei niedrigen, gemeinen Leuten bettelnd ein dürftiges Unterkommen suchen. Das war nicht fein von Dir, mein Bruder!“

„Laß die Vergangenheit ruhen,“ erwiederte Erich, dem Bruder Bescheid gebend. „Geschehenes muß zwischen uns vergessen werden. Uebrigens,“ setzte er heiter lachend hinzu, „besitze ich trotz der halsstarrigen Friesen, Sachsen und Holsten, die sich meinen Befehlen widersetzen, doch noch so viel, daß ich Deiner Tochter ein paar Schuhe kaufen kann.“

„Meinst Du?“ versetzte Abel höhnisch, mit seiner Hand das Brettspiel zerstörend. „Ich bedarf Deiner Almosen nicht. Aber weißt Du, daß Du jetzt in meiner Macht bist und daß ich mit Dir thun kann, was mir beliebt?“

Erich sah ihn stolz an. „Ich bin Dein Gast,“ sagte er, „und kann nicht glauben, daß Du die Gastfreundschaft verletzen wirst.“

Abel lachte. „Es ist nur meiner Tochter wegen,“ versetzte er. „Wer giebt mir Gewähr dafür, daß Du nicht eines Tages wieder über mich herfällst und mein Kind abermals gezwungen wird, in der Flucht ihr Heil zu suchen? Damit dies nicht geschehen könne, will ich Dich unschädlich machen. Du bist allein, ich bin Dein Gebieter. Was Du an mir verbrochen, sollst Du jetzt büßen!“

So sprechend stampfte Abel mit dem Fuße, daß die Trinkhalle erdröhnte, die Thür ward geöffnet und herein traten die Schergen des Herzogs, ergriffen auf den Wink ihres Gebieters den König und schlugen ihn in Ketten.

Erich mußte das Unabwendbare über sich ergehen lassen. Er ward von herzlosen Knechten die Wendelstiege hinabgestoßen und nach einer Pforte geführt, die auf die Schlei mündete. Hier lagen einige offene Böte. In eines derselben warf man den heimtückisch Ueberfallenen. Die Bootsleute ergriffen die Ruder und trieben den Nachen mit ihrem Gefangenen durch die aufrauschenden Wogen des Meerstromes. Erich wandte seine Blicke rückwärts der Jurisburg zu, deren gothische Zinnen im weichen Dämmer der hellen Augustnacht deutlich zu erkennen waren. Dann und wann glitzerte um die dunkeln schlanken Thürmchen etwas Weißes und lang austönende Klagerufe, die fast einer wimmernden Menschenstimme glichen, ließen sich hören. Das waren Möwen, von denen einzelne zuweilen von der Ostsee herauf bis nach Schleswig sich verirrten. Auch über dem breiten Wasserspiegel der Schlei schwebten die graziösen Vögel.

Dem rasch stromabwärts schwimmenden Boote, welches den gefesselten König trug, folgten bald mehrere andere. Hinter diesen zogen die Möwen, immer lauter klagend, fort, daß Erich selbst auf das Geschrei derselben aufmerksam ward. Er fragte seine Wächter wer die Männer in den ihnen folgenden Böten wären und als man ihm bedeutete, daß ihr Anführer wahrscheinlich Abel’s Vertrauter, Lauge Gudmansoe, der geschworene Feind Erich’s sei, entsetzte sich der König, das Schlimmste ahnend.

Zwei Stunden meerwärts von Schleswig verengert sich die Schlei zu einem schmalen Strome. Hier auf dem hohen Ufer stand damals eine Kapelle. Als Erich dieser Kapelle ansichtig ward, bat er seine Wächter, sie möchten den daneben wohnenden Priester rufen, damit er beichten und sich auf sein, wie er vermuthen müsse, nahes Ende vorbereiten könne.

Man gewährte dem Gefangenen diese Bitte. Der Priester erschien. Inzwischen hatten die nachrauschenden Böte den König eingeholt und umringten den Nachen des Gefangenen. Erich aber kniete nieder und beichtete. Um ihn versammelten sich die Möwen, umflatterten sein Haupt, während die Hand des Priesters ihn segnete, und ihr Geschrei in der stillen Nacht klang, als ob sie laut klagend den Namen „Erich!“ riefen.

Lauge Gudmansoe befahl seinen Leuten, die lästigen Schreier zu vertreiben, allein wie diese auch nach den Vögeln schlugen, sie zu tödten oder zu verscheuchen wollte ihnen doch nicht gelingen. Die Möwen schwangen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_487.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)