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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

1. Der deutsche Professor und der Romanschreiber.

Den Stoff zu meinem historischen Romane „der Freiknecht“ hatte ich schon früh in einem alten Buche voll historischer Merkwürdigkeiten gefunden. Bekanntlich spielt die Handlung des Buchs großentheils in Nürnberg. Während meines Aufenthaltes in Stuttgart in den Jahren 1828 und 1829 besuchte ich zuweilen die öffentliche königliche Bibliothek, wo mir der greise Dichter Friedrich Haug, Hofrath und Bibliothekar, Wohlwollen schenkte. Ich erhielt dort einige treffliche Nürnberger Chroniken, und Haug rieth mir, mich an den Professor Siebenkees in Nürnherg zu wenden, der wie Keiner weiter in der Geschichte seiner Vaterstadt Nürnberg bewandert sei. Bald darauf starb der alte liebenswürdige Epigrammatiker, der der Jugendfreund und Mitschüler Schiller’s gewesen war. Ich hatte mir aber seinen Rath gemerkt. Ich schrieb den ersten Theil des „Freiknecht“, der meist Nürnberger Verhältnisse schildert; je weiter ich aber in meiner Arbeit vorschritt, desto lebendiger wurde der Wunsch in mir, sowohl die Localitäten in Nürnberg kennen zu lernen, als auch mich über einige historische Partien, die mein Roman berührt, genauer zu unterrichten. Im Herbst 1829 verließ ich Stuttgart, um nach Leipzig überzusiedeln. Mein Weg führte mich über Nürnberg und ich brannte vor Begierde, die Schätze altdeutscher Kunst und historischen Merkwürdigkeiten dieser einst so hochberühmten und wichtigen deutschen Reichsstadt mit Augen zu schauen. Vergebens würde ich versuchen, die fromme Rührung zu schildern, die mich in Albrecht Dürer’s und Hans Sachs’ Wohnstätten ergriff und beim Anblick des großen Meisterwerks Peter Vischer’s, des Grabmals des heiligen Sebaldus. Ich war in einem geistigen Rausche, wie man ihn nur in der Jugend erleben kann, wenn man, für die große Vorzeit des Vaterlandes begeistert, noch nicht von seiner Jetztzeit gemißhandelt worden ist. In dieser gehobenen Stimmung suchte ich den Professor Siebenkees auf, der mir auch in Nürnberg als der größte Kenner der Geschichte und Alterthümer dieser mir so theuer gewordenen Stadt genannt wurde. Mit einer Pietät, die an Schwärmerei grenzte, betrat ich die Wohnung dieses Gelehrten. Ich war so voll von den empfangenen Eindrücken, ich wollte mit meiner frischen Begeisterung ein Stück der deutschen Vorzeit und beziehentlich Nürnbergs poetisch verherrlichen, und dazu wollte ich mich von dem gelehrten Kenner dieser Vergangenheit unterrichten lassen und recht viel mit dem alten geehrten Herrn plaudern. Ich traf ihn nicht in seiner bescheidenen Wohnung, aber eine alte kleine Haushälterin sagte mir: er werde bald heimkehren; ich möchte ein wenig verziehen. Ich wartete. Familie hatte der alte Nürnberger Gelehrte nicht; ich glaube, er ist nie verheirathet gewesen.

Endlich trat er herein, eine kräftige Figur mit einem starken, fleischigen Kopfe, etwas hängenden Backen, scharf markirten Zügen, buschigen wulstigen Augenbrauen und tiefliegendem finsterblickenden Augen. Sein graues Haar fiel in Locken in den starken Nacken. Er trug einen hechtgrauen Ueberrock mit Perlenmutterknöpfen; weißes Halstuch. Das spanische Rohr mit dem goldenen Knopf behielt er in der Hand und die Schiffsmütze auf dem Kopfe, als er meinen sehr höflichen Gruß kurz erwiederte. Das mußte wahr sein, Umstände machte er nicht mit mir. Ich sah freilich sehr jung aus und war auch in der That erst sechsundzwanzig Jahre alt. Eine freundliche Gestalt war dieser alte deutsche Professor eben auch nicht, aber doch eine ehrfurchtgebietende, und ich brachte ihm alle Ehrfurcht entgegen, deren mein junges begeistertes Herz fähig war.

Professor Siebenkees war damals siebzig Jahre alt, wie ich später erkundet habe. In Nürnberg geboren, hatte er als Informator in Venedig gelebt und dort das Leben der berüchtigten Tochter Venedigs, Bianka Capello, geschrieben, für die ich mich ebenfalls sehr interessirte. Dann war er viele Jahre Professor der Geschichte und alten Literatur an der Universität zu Altdorf gewesen und nach Aufhebung derselben in seine Vaterstadt zurückgekehrt, wo er sich ausschließlich mit der Geschichte derselben beschäftigte.

Ich trug ihm meine Bitte auf die höflichste und artigste Weise vor, daß er mir doch mit dem reichen Schatz seiner gelehrten Kenntnisse etwas behülflich sein möchte, mich möglichst genau über die Nürnberger Geschichte zur Zeit der Luxemburger Kaiser und namentlich Karl’s IV. und Wenzel’s zu unterrichten. Der verstorbene Hofrath Haug in Stuttgart habe mir gerathen, mich an ihn, als den gelehrtesten Kenner dieser Geschichte, zu wenden. Er hörte mir schweigend zu und maß mich einige Male mit mürrischen Blicken, in die, wie es mir schien, sich etwas Spott mischte.

„Also mit der Geschichte Nürnbergs wollen Sie sich beschäftigen?“ fragte er endlich mit einer trockenen harten Stimme. „Das ist ja seltsam! Wer sind Sie denn?“

Ich nannte ihm, etwas eingeschüchtert, meinen Namen.

„Was haben Sie denn gelernt?“

Ich referirte bescheidentlich, wo und was ich studirt hatte. „Aber wie in aller Welt kommen Sie denn darauf, Nürnberger Geschichte zu studiren? Wozu soll Ihnen denn das nützen? Wollen Sie denn darüber schreiben?“

„Das ist allerdings mein Zweck.“

„Ach, junger Mann, das lassen Sie sich vergehen! Sie bekommen keinen Verleger zu Ihrem Buche und wenn es noch besser wäre. Niemand interessirt sich dafür, selbst hier am Orte nicht. Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe einen Haufen Manuscripte, lauter Nürnberger Geschichte, fertig liegen; kein Buchhändler will etwas davon drucken lassen, obgleich ich die billigsten Bedingungen stelle und mich unablässig bemühe. Und ich habe doch einen berühmten Namen und Jedermann kennt meine Verdienste um die Geschichte meiner Vaterstadt. Wie wollen Sie junger namenloser Mensch erst mit einem solchen Werke aufkommen!“

„Um einen Verleger ist mir nicht bange,“ versetzte ich lächelnd. „Die Art und Weise, wie ich den Abschnitt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_481.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)