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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

zu lassen. Dagegen wurde indeß eingewendet, daß hiermit durchaus nichts gewonnen sei, indem eine solche, im Stillen vollzogene Exekution nur dazu dienen würde, die Sicilianer in ihrer boshaften Nachrede, die man gerade fürchtete, zu bestärken. Eine Reihe anderer Vorschläge litt an demselben Uebelstande; man erörterte und verwarf alle, ohne einen gewünschten Ausweg zu finden.

Dazu kam, daß das Benehmen des Verurtheilten der Art war, daß nicht nur die Befürchtung, er möge eines feigen Todes sterben, sich steigerte, sondern daß sie geradezu zur Gewißheit wurde. Seit ihm sein Urtheil eröffnet worden, brachte er die ganze Zeit mit Weinen und Wimmern zu und empfahl sich unaufhörlich der Gnade des heiligen Januarius, der unter den Heiligen Neapels die erste Stelle entnimmt. Es war klar, daß Paoli auf den Richtplatz geschleppt werden mußte und daß er wie ein Kapuziner sterben würde.

Unter verschiedenen Vorwänden hatte man schon mehrere Male den Tag der Exekution verschoben, bis endlich jeder neue Aufschub unmöglich geworden war. Die Offiziere traten zu einer dritten Berathung zusammen, suchten nochmals nach einem Auskunftsmittel, und fanden keins. Schon wollte man auseinander geben, dem Himmel die Sorge für alles Weitere überlassend, als der Regimentsprediger plötzlich sich mir der Hand an die Stirn schlug und erklärte, daß er so eben den von Allen so lange gesuchten Ausweg gefunden habe.

Alle wollten wissen, worin dieser bestände, der Prediger machte es jedoch zur Bedingung, daß er dies vorerst für sich behalten dürfe, da das Gelingen seines Planes von der strengsten Geheimhaltung abhinge. Auf die weitere Frage, ob das Mittel auch sicher sei, versicherte er, mit seinem Kopfe dafür einstehen zu können.

Die Exekution wurde nun auf den folgenden Tag 10 Uhr Morgens festgesetzt, und man bestimmte zu derselben die zwischen dem Pellegrino und Castellamare liegende Ebene, auf welcher sich bequem die ganze Bevölkerung Palermo's ausbreiten konnte.

Am Abende begab sich der Regimentsprediger in’s Gefängniß, wo sich ihm der Verurtheilte, in der Meinung, es handle sich nun um die Vorbereitung zum Tode, laut schreiend und jammernd entgegen warf. Der Gefangene, den man sonst durch die dicken Kerkermauern hindurch winseln gehört hatte, begann aber, nachdem der Prediger einige Zeit mit ihm gesprochen, ruhig zu werden, und als dieser ihn verließ und der Thürschließer wieder eintrat, pfiff der kurz vorher noch so Zerknirschte ein ganz lustiges Liedchen.

„Sieh einmal da,“ meinte der Schließer, „wir scheinen wohl ganz vergessen zu haben, daß wir morgen todtgeschossen werden?“

„Nichts weniger als das,“ versetzte der Soldat, „allein die Beichte hat mir mit Gottes Hülfe wohl gethan, so daß ich nun guten Muths geworden bin.“

„Das ist freilich etwas Anderes,“ gab der Schließer zurück. „Möchten Sie sonst noch etwas haben?“

„Ein gutes Abendessen wäre mir recht,“ entgegnete Paoli.

Seit zwei Tagen hatte er nichts zu sich genommen, so daß er, als man ihm zu essen brachte, wie ein Wolf darüber herfiel, zwei Flaschen Syrakuser dazu trank, sich auf sein Lager warf und dann fest einschlief. Am andern Morgen mußte man ihm fast einen Arm ausreißen, ehe er erwachte, während sonst der arme Teufel die ganze Nacht vor Angst nicht schlafen gekonnt hatte. Noch nie war dem Schließer ein gefaßterer Mensch vorgekommen. In der Stadt hieß es, der Verurtheilte bereite sich auf den Tod wie zu einem Feste vor. Die Sicilianer hegten indeß starke Zweifel und meinten: „Man müsse es abwarten!“

Um sieben Uhr Morgens wurde der Gefangene abgeholt. Er war gerade im Begriff sich anzukleiden, und hatte sich mit seinem frisch gewaschenen Hemd und den sauber gebürsteten Kleidern so stattlich herausgeputzt, als es ein neapolitanischer Soldat nur immer kann.

Paoli hat um die Gunst, daß man ihn nach dem Richtplatz gehen lasse und ihm die Hände nicht binde. Beides wurde ihm gewährt.

Der Marineplatz, wo das Gefängniß lag, war Kopf an Kopf mit Neugierigen besetzt. Als Paoli erschien, grüßte er freundlichst die Menge; von Furcht war in seinem Gesichte nichts zu lesen. Die Sicilianer konnten sich von ihrem Staunen nicht erholen.

Der Verurtheilte schritt, in Begleitung des Korporals und der zur Exekution bestimmten neun Mann, ruhig und fest, ja fast stolz durch die Straßen. Von Zeit zu Zeit begegnete er unterwegs einem Kameraden, dem er mit Erlaubniß seiner Begleitung die Hand reichte, und wenn ihn dabei der Eine oder Andere beklagte, antwortete er mit irgend einem tröstlichen Sprüchlein, wie „das Leben ist ja doch nur eine Reise,“ oder „einmal muß doch gestorben sein,“ und ging dann ruhig weiter.

Die Neapolitaner triumphirten.

Bei einer Weinkneipe angelangt, gewahrte er zwei seiner Kameraden, welche auf die neben der Thür stehende Bank gestiegen waren, um ihn vorüber kommen zu sehen. Er ging auf sie zu, sie boten ihm ein letztes Glas Wein an und bis an den Rand ließ er sich’s füllen. Dann hob er’s mit fester Hand in die Höhe und rief, indem er es austrank, mit eben so fester Stimme: „Auf das Wohl Sr. Majestät unsers gnädigen Königs Ferdinand!“ Selbst die Sicilianer konnten bei dieser Scene ihre Bewunderung dem muthigen Manne nicht versagen.

Man langte auf dem Richtplatze an, und hier, so meinten die Sicilianer würde dieser erkünstelte Muth, der durch eine augenblickliche Aufregung hervorgerufen, schnell zusammenbrechen. Ganz im Gegentheil schien jedoch der Muth des Verurtheilten zu wachsen, als er den für ihn bestimmten Platz erblickte. Er stellte sich selbst auf denselben hin und erbat sich noch als letzte Gunst, daß man ihm die Augen nicht verbinde und er selbst Feuer kommandiren dürfe. Diese Bitte wurde ihm nicht abgeschlagen.

Jetzt nahte sich ihm sein Beichtiger, umarmte ihn, reichte ihm das Kruzifix zum Küssen und spendete ihm einige Worte des Trostes, die jedoch keinen großen Eindruck zu machen schienen. Dann folgte noch die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_469.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2018)