Seite:Die Gartenlaube (1853) 464.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Ach,“ fügte sie mit gesenktem Auge bei, „ich fühle, daß ich seiner nicht ganz würdig bin – mein Geist kann dem seinigen nicht genügen und zuweilen fürchte ich . . . .“

,.Was fürchtest Du?“

„Daß er mich mehr aus Mitleid und Freundschaft als aus Liebe geheirathet hat,“ seufzte Clemence offenherzig; „denn ich verstand nicht, ihm zu verhehlen, wie glücklich mich sein Kommen, wie betrübt mich sein Gehen machte.“ Dann wieder heiter werdend rief sie: „O, wie wird sich Constantin freuen, Dich wiederzusehen. Wie wird er staunen über Deine Schönheit. Denn wirklich, Leonore, Du bist unendlich reizend geworden und selbst die Trauerkleidung kleidet Dich ungemein. – Vor Zeiten seid Ihr freilich nicht immer gute Freunde gewesen,“ fuhr sie arglos fort – „weißt Du noch, er gab Dir oft Stubenarrest und tadelte Dein heftiges Aufbrausen; aber das ist jetzt Alles längst vergessen.“ In diesem Augenblicke sahen wir Falk die Allee daher kommen. Ich nahm alle meine geistige Kraft zusammen, um Constantin nicht meine Aufregung und Freude zu verrathen und es gelang mir. Aber ich sah ihn bei meinem unerwarteten Anblick heftig zusammenschrecken, erst roth, dann todtenbleich werdend – ich triumphirte, er liebte mich noch immer. Kalt, unbefangen und höflich redete ich ihn an, als ob wir uns nie näher gestanden. Mein Benehmen schien ihn in Erstaunen zu setzen, gab ihm aber auch Gelegenheit, sich zu fassen und mit Ruhe Clemence anzuhören, die ihm freudig und arglos erzählte, ich würde sie in B. besuchen. –

Eine geraume Zeit war verflossen. Seit mehreren Wochen befand ich mich im Hause von Clemence und Constantin. Erstere hatte sich so an meine Gesellschaft gewöhnt, sie hing mit so schwärmerischer Freundschaft an mir, daß ich gar nicht von meiner Abreise reden durfte, wollte ich sie nicht ganz traurig machen. Ihren Gatten hatte ich durch meine Kälte und Unbefangenheit ebenfalls getäuscht und sicher gemacht. Der Bethörte! Er glaubte mich und sich von der heftigsten aller Leidenschaften geheilt und drang ebenfalls darauf, meinen Aufenthalt zu verlängern. Da es mir überhaupt gar nicht, bevor ich nicht meinen Zweck erreicht hatte, einfiel zu gehen, so kam mir dieses Zureden um so erwünschter. Nach Verlauf einiger Zeit war mir es gelungen, meinem Plane immer näher zu kommen. Falk’s Liebe zu mir erwachte von Neuem. Ich erkannte bald klar, ich war nie ganz seinem Herzen entschwunden und daß er Clemence halb aus Verzweiflung, halb aus Freundschaft und vielleicht auch aus Sehnsucht nach einer Häuslichkeit geheirathet. Aber was sollte aus ihr werden? Stand sie nicht wie ein Engel mit dem feurigen Schwerte vor den Pforten meines Paradieses? Mit reuevollem Herzen bekenne ich es: in einer dunkeln Stunde hatte ich Clemence denselben Tod geschworen, den Neuhaus starb; doch ward dieser verworfene Gedanke bald von besseren Gefühlen erstickt. Wie schlecht ich auch war, schlich ich doch eines Abends allein an das Wasser, zerschlug die Giftfläschchen und warf sie mit ihrem todtschwangern Inhalt in die Tiefe.

Clemence’s Leben sollte von mir nicht gefährdet werden, das hatte ich mir fest gelobt; aber trotzdem nahm mein Haß gegen sie in dem Grade zu, als die Unmöglichkeit sich immer mehr entgegenstellte, sie aus ihrem Rechte zu vertreiben. Wie viele Mal habe ich ihr geflucht und den Tod gewünscht. Welche abscheulichen Hoffnungen knüpfte ich einst an eine Erkältungskrankheit, von der sie befallen wurde. Während ich mich auf ihren Tod freute, pflegte ich die Erkrankte mit scheinbarer Zärtlichkeit. Wider Erwarten aber genas sie. Als sie mir nach ihrer Genesung mit lieblicher Innigkeit für die sorgsame Pflege dankte und mich zärtlich an ihr Herz drückte, da zuckte zum ersten Male etwas wie Rührung durch mein Herz. Ich zürnte mir selbst wegen dieser Weichheit; aber von diesem Augenblicke an hörte ich auf, Clemence zu hassen.

Nach einigen Wochen fing die Gattin Constantin’s von Neuem zu kränkeln an. Sie hustete oft, ihre Wangen verloren die anmuthige Rundung und Abends glühten ihre Augen und Hände in leisem Fieber. Sie hatte nie so viel Materielles als andere Sterbliche gehabt; aber jetzt erinnerte sie mich unwillkürlich an die duftigen Nebelgestalten aus Ossian’s Gesängen. Der Hausarzt nahm dieses Unwohlsein nicht leicht. Er verschrieb einige Mittel und drang hauptsächlich auf eine Luftveränderung. Clemence beschloß daher eine Reise zu ihrer Tante in den Elsaß. Da Constantin für den Augenblick B. nicht gut verlassen konnte, so bat sie mich flehendlich, sie nach Straßburg zu begleiten. Nach kurzem Bedenken erklärte ich meine Bereitwilligkeit. Sie fiel mir dankbar um den Hals, küsste mich und rief ihrem Manne scherzend zu: „Komm Constantin, küsse sie auch und danke ihr.“ Constantin’s Gesicht wurde bei diesen Worten bleich. Er zitterte und rührte sich nicht von der Stelle. Meine Wangen aber überzogen sich plötzlich mit einem verrätherischen Roth. Zum ersten Male schien Clemence das Benehmen Constantin’s auffallend zu finden; sie sah erst ihn und dann mich klar und forschend an; aber weder ein Wort noch ein Blick von ihr ließ einen Argwohn ahnen und ihre liebevolle Freundlichkeit blieb dieselbe.

Nach einer von dem herrlichsten Herbstwetter begünstigten Reise langten wir in Straßburg an. Clemence schien sich gekräftigt zu haben und war in heiterer Stimmung. Wie stand es aber mit mir? Die unverdiente Güte und wahrhaft engelhafte Freundschaft Clemence’s zu mir erfüllten mein Herz mit schmerzlichen Gefühlen der Reue. Wie gern hätte ich jetzt alle Verwünschungen, die ich noch vor Kurzem über die Schuldlose ausstieß, zurückgenommen. Im Traume erschien sie mir wiederholt, bleich und gestorben im Sarge liegend und die Stimme eines unsichtbaren unheimlichen Wesens flüsterte leis: „Du hast sie getödtet.“ Ich erwachte stets in furchtbarer Nervenaufregung. Indeß zerstreute der heitere Tag, die freundliche Aufnahme bei Clemence’s Verwandten, das rege Leben und die vielen Sehenswürdigkeiten der alten Stadt die finstern Traumgebilde. Auch meine geistigen Leiden wurden durch den stets lächelnden blauen Himmel, durch die Reize einer üppigen Natur für einige Zeit eingeschläfert.

Ihr, die Ihr dieses leset, staunet immerhin, daß eine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_464.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)