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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 43. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
(Fortsetzung.)


Als der Frühling gekommen, reiste ich, um mich zu zerstreuen, in ein damals sehr besuchtes Bad. Kaum angekommen, ließ ich mir die Badeliste bringen und wer beschreibt meine Gefühle des Schmerzes, des Hasses und der Freude, als ich las: Constantin Falk und Clemence Falk. Auf’s Neue trat der Versucher zu mir und flüsterte: „Er hat sie nicht aus Liebe genommen – Dein Bild lebt noch in ihm. Tritt zwischen Beide mit der Macht Deiner Schönheit und nimm zurück, was Dir gehört, Constantin’s Herz.“ Der Zufall war günstig. Auf meinem Spaziergange am folgenden Tage traf ich mit Clemence zusammen. Ich hätte sie nicht wieder erkannt; sie aber flog sogleich mit einem Freudenausrufe in meine Arme. Wie sah es in diesem Augenblicke in meinem Innern aus. Ich hielt den Gegenstand meines Hasses, Neides, meiner Eifersucht in den Armen, gab ihm die zärtlichsten Betheuerungen, während ich ihn mit Wollust in meinen Armen hätte lieber sterben sehen. Clemence schien wahrhaft erfreut, mich wieder zu sehen. Sie küßte mich immer von Neuem, beklagte mein Schicksal mit argloser, aufrichtiger Theilnahme und bat mich inständig, nach beendeter Badecur eine Zeit lang in ihrem Hause zu wohnen. Mit heimlicher Freude sagte ich zu. Arme Clemence, welche Schlange nahmst Du bei Dir auf.

Nachdem ich die vollkommene Fassung wieder bekommen, betrachtete ich mir die ehemalige Jugendgespielin mit Aufmerksamkeit. Sie war ein Wesen von eigenthümlicher Lieblichkeit geworden. Ihre Gestalt, ihr Gesicht hatten etwas ungemein Zartes und Anmuthiges. In dem Blicke ihres braunen Auges lag der Zauber einer reinen Kinderseele. Lange Locken umflossen reich ihr Gesicht, das nur leise gefärbt, einer Lilie im Abendscheine glich.

„Bist Du nicht neugierig, zu erfahren,“ fragte sie im Laufe des Gesprächs, „wie ich Constantin’s Frau geworden bin?“ Ich bejahte. Sie erzählte mir nun, wie sie mit ihrer Mutter eine Zeit lang in B. gelebt. Hier habe sie Falk wiedergesehen. Er sei oft zu ihnen gekommen und habe endlich um ihre Hand angehalten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_463.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)