Seite:Die Gartenlaube (1853) 426.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

des Friedensteins aus vor uns liegen sehen. Unter uns gegen Norden liegt die rege Stadt mit ihren von der Hand eines wackern Baumeisters im edlen Style aufgeführten Gebäuden, u. a. Theater, Marstall, und namentlich jene herrlichen Sitze der beiden Banken, welche, vom ehrwürdigen E. W. Arnoldi zu dauerndem Ruhme von Gotha gestiftet, manche Thräne getrocknet, viel Unheil wieder gut gemacht haben. Diese Banken hätten ihre Jahresberichte ausstellen können, um die höchste Anerkennung zu finden. Ihr Einfluß auf die Industrie tritt zwar nicht unmittelbar hervor, aber er ist nichtsdestoweniger gedeihlich vorhanden. Weiter nach Norden schweift unser Blick nach Langensalza, dessen ursprüngliche zurückgehenden Webereizweige durch umsichtige Fabrikanten wieder neu und frisch belebt wurden, dann nach der alten Reichsstadt Mühlhausen am Fuße des Eichsfeldes, nach Bleicherode, nach Nordhausen und Sondershausen, wo man sich überall rührt, um auf absterbende Stämme neue Triebe zu pfropfen. Namentlich ist dies für das Eichsfeld zu wünschen, wo eine schlechtlohnende Hand- und Hausindustrie sich mühsam das Leben fristet; von wo aus im Verein mit Genossen des Rhön und einiger Orte des Thüringer Waldes zu Zeiten viele Männer ihre Hütten verlassen, um in mehr begünstigten Gegenden des Vaterlands Arbeit und besseren Lohn zu suchen. Gewerbsbildung und muthige Unternehmungslust müssen sich die Hände reichen zur Verbesserung der Zustände. Glücklicher ist die Aue, wo sich die goldenen Aehren in der Sonne wiegen.

Schloß Friedenstein.

Wir stellen uns nun an ein anderes Fenster und schauen nach Eisenach und Umgegend, der Wiege unserer deutschen Kammgarnmaschinenspinnerei. Christian Weiß in Langensalza führte dieselbe ein. Dort blickt Ruhla aus seinem Bergkessel heraus mit Cigarrenspitzen und Pfeifenköpfen, womit es die Raucher erfreut; aber zugleich zieht es die Augen der Künstler auf sich durch die reizenden Köpfe seiner Jungfrauen mit ihren feurigen Augen und schwarzen Flechten, um welche turbanartig ein Tuch gewunden ist, als wären die Trägerinnen die Ur-Urenkelinnen jener schönen Orientalin, welche den Grafen Ernst von Gleichen aus der Gefangenschaft der Ungläubigen in sein Schloß ohnweit Gotha begleitete, dessen Ruinen mit zwei andern Ueberresten alter Burgen auf hohem Bergkegel vereint die drei Gleichen genannt werden. Dort auf dem Schlosse Gleichen stand noch vor wenig Jahren die große breite Bettsponde des Grafen. Ob sie aber so schön geschnitzt war wie das berühmte Bett im Londoner Glaspalast, das der Kaiser von Oestreich der Königin Victoria schenkte, wissen wir nicht. Vom Grafen Gleichen, seinem merkwürdigen Abenteuer und häuslichem Leben steht eine hübsche Geschichte in Musäus’ Volksmärchen. Aber wir schließen das Schloßfenster nach West, öffnen es nach Ost und schauen mitten hinein in die blaugrüne Bergwand des Thüringer Waldes, durch den man einen Tunnel von 6000 Fuß Länge brechen will, um vom Bahnhof von Gotha aus das Werrathal unweit Schmalkalden zu erreichen. Dort sehen wir das reizende Reinhardsbrunn, das wurst- und spielzeugreiche Waltershausen. Wir hören im Geiste die unermüdlichen Hämmer der Eisenwaarenarbeiter in Brotterode, Schmalkalden, Mehlis und das Schnauben der Glas- und Porzellanöfen in Tambach und Dietharz, in Ohrdruf und Elgersburg, in weiterer Ferne das Schlagen der Weberschiffchen in den Barchentstühlen von Suhl, untermischt mit Probeschüssen aus den dortigen vortrefflichen Gewehren, herausfordernd

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_426.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)