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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Sie scherzen.“

„Keineswegs. – Warum auch?“

„Es würde sich ja nicht schicken.“

„Nicht schicken, im Angesicht der Sterne zu lustwandeln? Gütige Allmacht! Man sieht es wohl, daß deine Hand das Buch nicht schrieb, worin diese Gesetze verzeichnet sind. Nicht wandeln im Angesichte eines gestirnten Himmels? Wem da die Seele nicht groß wird, wem da der Busen nicht schwillt, der hat die Natur so klein angelegt, daß er nicht einmal staunen kann vor ihrer Größe! – Wie schade, daß die Pruderie des Jahrhunderts auch hier ihren Maßstab anlegen mußte!“

„Aber allen Ernstes, Herr Piat! Meinen Sie wirklich, ein Mädchen könnte am Abend allein spazieren gehen?“

„Und warum nicht? – Was sollte sie abhalten? Der Anstand? Sagen Sie selbst, ob ein Spaziergang nicht anständig ist. Dagegen die so viel Preis gebende Toilette, die wir eben in der ersten Logenreihe gewahrten, diese verstößt allerdings gegen den Anstand, aber Niemand findet daran zu erinnern, weil es so Mode ist. Solche Widersprüche bilden unsere Sittengesetze. Es ist unglaublich, zu welchen Absurditäten wir damit bereits gekommen sind. Aber, – ich will mir den Augenblick nicht damit verderben, diesen Punkt zu erörtern. Wir haben leider Ihre Wohnung gleich erreicht. Sagen Sie mir nun nur noch eilig, wie, wo, wann ich Sie wiedersehen darf.“

„Ich verlasse London übermorgen, um den Winter in Irland zuzubringen.“

„So bald schon? – Aber morgen – wo verbringen Sie den morgenden Tag?“

„Zu Hause, mit Packen.“

„Darf ich Sie besuchen?“

Sie schüttelte verneinend das Haupt.

„Den Besuch eines jungen Herrn anzunehmen, steht mir nicht zu. Ich lebe als Gesellschafterin bei einer irischen Dame, und die Regeln des Anständigen sind hier sehr eng zugeschnitten.“

„Ich muß Sie aber doch wiedersehen? So treffen Sie mich morgen Abend bei Signora Carlotti.“

„Thue ich recht, wenn ich eine solche Verabredung mit Ihnen treffe?“

„Welche kleine Bedenklichkeit!“

„Gut denn! So will ich um sieben Uhr dort sein.“

Die Hausthür stand schon weit geöffnet.

„Also Lebewohl denn für heute!“ rief Piat, ihre Hand ergreifend, und sah sie mit einem Blicke an, der ihr tief in die Seele ging. „Auch in der Ferne bleiben Sie mir noch, wachend und träumend; das Leben kann uns trennen, aber wiederfinden müssen wir uns, das steht fest in mir.“

Susanne erwiederte leise den Druck seiner Hand und schlüpfte in das Haus. Piat weilte noch eine Minute lang auf der Schwelle desselben, dann trat er langsam und sinnend seinen Rückweg an. –




„Susanne an eine Freundin.
Lisdof den 1. Januar. 

„Sie schelten, theure Anna, daß Ihnen auf drei Briefe keine Antwort geworden, während mir, bei der Einsamkeit, in der ich hier lebe, nicht einmal die Entschuldigung bleibe, daß es mir an Zeit zum Schreiben fehle. Sie haben Recht, ich habe keine Entschuldigung und verdiene Ihre Vorwürfe vollkommen. Ja, noch mehr, ich klage mich selbst auf das Härteste deshalb an, und habe dennoch, trotz dieses Bewußtseins meiner sich täglich mehrenden Schuld, nicht zu dem Entschlusse kommen können, die Feder zu ergreifen.

„Was ich Ihnen zu sagen hatte, war zu schmerzlich, als daß ich es mit Leichtigkeit in Worte zu kleiden vermochte. Und hätte ich mich auf Mittheilungen beschränkt, die das äußere Leben angingen, so hätten Sie zwischen den Zeilen gelesen, daß ein Schmerz an mir nage, und das Verschweigen desselben dem mangelnden Vertrauen zugeschrieben. Das hätte Sie gekränkt, und kränken wollte ich Sie nicht. So schwieg ich denn, bis ich Muth hatte zu reden.

„Wo nun aber anfangen? Mit Empfindungen oder mit Thatsachen? Ach! Sie ahnen auch jetzt noch nicht, was mich dieser Brief kostet! –

„Lassen Sie mich aber kurz sein.

„Es war im Juni des letzten Jahres, da traf ich in der Oper, in der sogenannten Künstlerloge, mit einem jungen Manne zusammen, der mir als höchst interessant in seiner idealen Auffassung des Lebens geschildert worden war. Er entsprach meiner Erwartung, ja, er übertraf sie, und Alles, was ich von dem harmonischen Zusammenschmelzen zweier Seelen geträumt hatte, fand sich hier verwirklicht. Er begleitete mich nach Hause und sein letztes Wort war ein Ausspruch, daß das Leben uns nicht mehr trennen könne.

„Wie ich mein Zimmer erreichte, welch ein Jubelgesang des Gebetes aus meiner Seele aufstieg, welche rosige Träume mich umwickelten, das will ich Ihnen nicht beschreiben. – Am folgenden Morgen berührten meine Füße den Boden kaum. – Ich sollte ihn am Abend noch einmal wiedersehen, hatte versprochen, ihn um sieben Uhr bei Signora Carlotti zu treffen, und schwelgte in dem Gedanken dieses Wiedersehens. – Trotzdem daß Alles schon verpackt war, mußte mein himmelblaues Kleid, das mir am besten stand, doch wieder hervorgesucht werden, und trotz der vielen Geschäfte, die sich häuften, konnte die Zofe grade heute mein Haar durchaus nicht nach meinem Geschmacke aufwinden.

„Zur bestimmten Stunde war ich an Ort und Stelle und horchte auf jeden schallenden Tritt. Minute nach Minute verrann, aber Niemand kam. Ich wurde bleich vor Täuschung und Angst. Um acht Uhr wollte mich Lady Hexter in ihrem Wagen abholen und er konnte sich verspäten. Was dann? – Oh! Ich konnte es nicht ausdenken. – Mit fieberhafter Angst folgte ich den Schlägen des Pendels und mein Puls diente demselben als beistimmender Pendant.

„Endlich schlug es wirklich acht und der Wagen fuhr vor. Ich hätte weinen mögen! – Und ich durfte nicht einmal sagen, was mich quälte, welche grausame Täuschung ich erfahren! – Lady Hexter wollte in die Oper fahren. Da saß ich nun neben ihr in der Loge und schaute hinüber nach dem Platze, wo ich gestern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_384.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)