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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)


verlangen oder es wenigstens nie dahin bringen, daß Sonntags jeder Christ seine Hände in den Schooß legen und seinen Blick zum Himmel erheben könne. Aber dahin muß es jede anständige Staatsgesellschaft bringen, daß die Sklaverei abgeschafft werde. Am Besten fangen Weiße damit an, Sklaven ihrer Nachbarschaft und Farbe zu befreien, d. h. ihnen die Möglichkeit zu geben, als Menschen zu leben, und sie von dem Fluche zu erlösen, unter dem sie, ärger behandelt wie Thiere, sich ohne Unterbrechung hinopfern müssen.

Aber kann London ohne Omnibus an Sonntagen bestehen? Es könnte vielleicht an Sonntagen, aber dann nicht an den Wochentagen. Ohne Omnibus wären Tausende von Menschen nicht im Stande, in die freie Luft zu kommen, sich zu erholen. Ohne Erholung würden sie während der Woche unter ihrer Arbeit erliegen.

Also keine Erlösung für diese 11,000 Menschen? Vom „unchristlichen“ Standpunkte wäre man bald fertig und verlangte einfach Stellvertreter, wenn die Andern ausruhen. Der christliche Engländer ist aber damit nicht zufrieden und verlangt für jeden Christen einen christlichen Sonntag, nicht blos einen Ruhe- und Erholungstag. Es ist ächt englisch, wie man sich hier zu helfen sucht.

Ein englisches Blatt sagt: Warum haben starkgläubige Juden so gern christliche Dienstboten? Weil diese ohne Gewissensbisse an ihren Sabbathen arbeiten können. Nun warum machen wir’s nicht ebenso? Laßt uns an Sonnabenden für die Juden arbeiten, damit die Juden an unsern Sonntagen unsere Arbeit thun. „Die Juden haben ihre weltgeschichtliche Aufgabe noch nicht gelöst, sonst wären sie längst als solche verschwunden, wie andere Völker. Es ist noch etwas Grünes an ihnen, aus dem Blätter und Früchte hervorbrechen wollen. In ihnen steckt noch ein Geheimniß, das aufbewahrt wird für einen bestimmten günstigen Zeitpunkt. Ein Theil dieses Geheimnisses ist ihr Sabbath. Er wird mit dem christlichen Sonntage einen Bund schließen und die Sonntagsarbeit übernehmen, während die Christen es sich zur Pflicht machen, Sonnabends für die Juden zu arbeiten.“

Das ist, wie gesagt, ächt englisch, gut hochkirchlich, wird aber wohl schwerlich zu dem Rufe hoher Weisheit kommen. Mit solcher christlichen Genialität befreit man weder schwarze, noch weiße Sklaven.

Wir wollen hier auch nicht mediciniren, sondern schildern. Mit den Juden geht’s nicht, so lange die christlichen Engländer noch alle Tage, und besonders an Sonntagen, überall wie hungrige Raben über die Omnibusse herfallen, um hinein oder hinauf zu kommen, ehe sie „voll“ sind. Die Omnibus-Eigenthümer befriedigen nur ein starkes Bedürfniß des Publikums, indem sie Tag für Tag so billig als möglich überall Omnibus laufen lassen.

Die Schuld der „Sklaverei“ liegt also nicht in den Omnibusherren, sondern in der ganzen englischen christlichen Gesellschaft. Sie „machen“ alle eben so rücksichtslos gern „Geld,“ wie die Amerikaner und die ostindische Kompagnie, die als Bestandtheil der englischen Regierung 60 Millionen Sklaven viel schlechter behandelt, als die Amerikaner ihre wenigen. In Amerika drüben ist man nur ehrlicher. Der Engländer ist in seiner Gläubigkeit viel feiger, und nirgends giebt es so viele Heuchler, als unter den Engländern. Die Omnibusherren, statt ehrlich vor die Oeffentlichkeit zu treten oder sich zu bessern, suchten nur „den Schein zu retten“ und als Sklavenbesitzer zugleich gute Christen zu bleiben.

Unlängst erschienen Zeugnisse von Omnibuskutschern und Conducteurs in den Zeitungen mit einer schweren Menge Unterschriften zu Gunsten der Omnibusherren. Wir haben die besten Herren, die beste Behandlung, die beste Bezahlung, hieß es darin, wir sind glücklich mit Weib und Kind und danken es unsern Brodherren. Möge der Himmel sie dafür reichlich belohnen!

Diese Zeugnisse hatten sich die Omnibusherren selber geschrieben. Die zahlreichen Unterschriften dazu bekam man von den freien Männern auf folgende Weise.

An den Endpunkten der Omnibuslinien sind fast ohne Ausnahme Bierhäuser mit mehreren Zimmern. Wenn nun ein Omnibus angekommen war, wurden Kutscher und Conducteur in ein solches Zimmer gerufen und ihnen der Wunsch geäußert, das besagte Zeugniß zu unterschreiben. Es stehe ganz in ihrem Belieben, ob sie wollten oder nicht; aber wenn sie die Gefälligkeit nicht hätten, würden sofort ein anderer Kutscher und ein anderer Conducteur vom Omnibus draußen Besitz nehmen.

Die freien Kutscher und Conducteure sahen im Geiste ihre bleichen Frauen, ihre vor Hunger schreienden Kinder und – unterschrieben.

Der amerikanische Schwarze hat 10 Ellen jährlich von eurer Baumwolle, der englische Unterthan in Indien eine halbe, und die Hälfte der Fabrikarbeiter im Mittelpunkte des Reichs ihren ersten Ruhetag am ersten Tage ihres Todes.

N. S. Die jüngste Arbeitseinstellung der Londoner Droschkenkutscher (nicht zu verwechseln mit den hier geschilderten Omnibuskutschern), welche durch eine die Fahrpreise herabsetzende Parlamentsbill hervorgerufen wurde, hat übrigens in ihrem Verlaufe und Ausgange gezeigt, daß wenigstens dieser Theil der Londoner Kutscher seine Unabbängigkeit zu wahren wußte und vielmehr dem Parlament und gesammten Publikum in gewisser Weise ihre Sklaverei ihm gegenüber zu fühlen gab. D. Red. 





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_382.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)