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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

antwortete ich mit beleidigtem Künstlerstolze, „es ist nicht mit Geld zu bezahlen.“ –

Sie sah in das Taschenbuch, blickte nur einmal halb darüber hinweg auf mich und sah dann noch tiefer hinein. Also vollkommen verstanden. Ich wollte das Honorar selbst von ihren Lippen entnehmen, aber sie wendete das schöne Köpfchen so rasch, daß die braunen Locken flogen, und flüsterte, ob ich das Capital nicht noch etwas stehen lassen wolle.

„Wenn ich hoffen darf, daß mir gute Zinsen nicht vorenthalten werden!“ erwiederte ich.

„Ich denke es so gut anzulegen, daß mir auch hohe Zinsen nicht schwer fallen werden,“ kicherte sie kindlich, aber doch auch so süß und gedämpft, daß offenbare Liebe der Jungfrau aus dem Kinde sprach.

Es war eine so einfache Situation, aber nie hatte ich in meinem Leben etwas Höheres, Gewaltigeres, Schöneres gefühlt und empfunden. Wir waren uns so fremd, zwei verschiedene Erdtheile hatten uns aufwachsen lassen und doch gingen wir nun nach diesen wenigen, ersten Worten so innig bekannt und verwandt, so vertrauungsvoll neben einander, als hätten wir uns schon immer alle Tage gesehen, gesprochen und allmählig lieben lernen.

Da ich hier nicht als Romanheld florire, brauche ich mich nicht weiter zu idealisiren. Und so gesteh’ ich offen, daß ich sowohl in Kurhessen, als auch in London, als ich die schiefgetretenen Stiefeln trug, geliebt habe, ohne an Dauer und Ehe zu denken. Als ich meinen Fabrikherrn das Erlebniß in der sechsten Straße erzählte, um meine Bitte, den Betrag von meinem Honorare abzuziehen, damit zu begründen und er mich auslachte wegen meiner deutschen Gutmüthigkeit der pfiffigen Yankeetochter gegenüber, die eben nur die zwei Dollars habe sparen wollen, dachte ich auch wieder so, wie in Kurhessen. Meine Schwärmerei war dahin. Dessenungeachtet fand ich den folgenden Abend das Haus sehr gut und auch sie wieder – Aurelia. Natürlich war nun sogleich wieder aller Zweifel vorbei, solche offene, zarte, naive, schöne Weiblichkeit und kindliche Frische, um zwei Dollars zu sparen? Ich schämte mich ordentlich, dem Fabrikmaler nur einen Augenblick geglaubt zu haben.

Vorläufig ist nun aber nichts Besonderes in unserer Geschichte. Wir kamen jeden Abend im Garten zusammen, selbst wenn es regnete. Nie wurde ein Capital reichlicher verzinst, das versteht sich. Aber das Wort „Garten“ ist nicht ohne Erklärung zu verstehen. Es war kein gewöhnlicher, es war der schönste Garten, der mir je vorgekommen. Blos eine Sorte Grünes wuchs darin, welches man im gemeinen Leben Gras nennt. Wo blieben denn die Bäume? Nun was kümmerten uns Bäume? Wir wollten weder klettern, noch Häuser von Holz bauen. Früchte sind auch sehr schön im Garten, wenn man Früchte essen will; Blumen gehören auch in den Garten, wenn man Blumen sehen will; aber Aurelia und ich wollten weder Aepfel essen noch Blumen sehen; wir wollten eben blos Arm in Arm einherwandeln und uns zuweilen etwas setzen und Auge im Auge sehen und Capital und Zinsen für mein Portrait in Unordnung bringen, so daß von beiden Seiten immer genommen und zurückgegeben werden mußte, ohne daß es je stimmte, und nichts Anderes übrig blieb, als immer von vorn anzufangen. Die Sache war idyllisch bis „der Alte“ dahinter kam. Der Alte war ein Kaufmann, der Geld machte, ich ein Malergehülfe. Eines Abends überraschte er uns, sprach sehr freundlich zu mir und traute mir zu, daß ich selbst die Unmöglichkeit einer ehelichen Verbindung einsehen würde, da das Malen immer ein sehr unsicheres „Geschäft“ bleibe. Er erwarte daher bestimmt, daß ich mich nie wieder sehen lassen werde.

Natürlich kamen wir doch wieder zusammen. Mehrmals wieder ertappt, mußten wir endlich scheiden. Aurelia sollte zur Mutter gebracht werden, die in einer andern Stadt einem andern Geschäfte vorstand. Der Alte war so freundlich, mich im Hause förmlich Abschied nehmen zu lassen, denn gegen meine Person hatte er durchaus nichts.

Aurelia drückte mir beim Abschied ein Zettelchen in die Hand. Es stand darin, daß wir uns den folgenden Nachmittag auf dem Eisenbahnhofe treffen und „fliehen“ wollten. Natürlich stellte ich mich ein. Sie war schon da mit einer bauschigen Reisetasche. Da der Zug im Vorbeigehen blos eine Minute hielt, war Pünktlichkeit nöthig. Wir flogen daher, sowie der Zug hielt, hinaus und stießen zugleich Beide auf den „Alten.“

„Hallo, junges Völkchen!“ rief er scherzhaft, „’n Bischen ’n Ausflug machen, wie? Wohin denkt man denn? Und was hat denn da meine liebe Aurelia für einen mörderlichen Reisesack?“

„Oh, Papa!“ schluchzte sie und weinte so leidenschaftlich, daß es ein Erbarmen war.

„Na, sagen Sie mal, junger Herr, was ist denn das nun hier eigentlich?“ wandte er sich an mich, indem er seine joviale Miene ablegte.

„Nun,“ sagte ich mit desperater Courage, „nichts als dies, daß wir uns hätten davon gemacht und trauen lassen, wenn Sie nicht so unberufen dazwischen gekommen wären!“

„Hm! Hm! gibt’s da vielleicht einen bestimmten Grund für solche Eile?“ Der Alte sah mich dabei ungemein fest an.

„Allerdings,“ sagte ich.

„Was?“ schrie jetzt der Alte. „Was für ein Grund?“

„Wir lieben uns!“ antwortete ich mit fester Stimme und festem Blick in sein Auge.

„Leben Sie wohl!“ sagte er, nachdem er mich und Aurelia wechselweise prüfend angesehen, „und besuchen Sie mich, wenn Sie mir 5000 Dollars oder ein sicheres Einkommen von 2000 Dollars jährlich nachweisen können, aber nicht eher!“ Mit diesen Worten nahm er Aurelia’s große Reisetasche in den einen und sie an den andern Arm und ging sehr ruhig und fest ab.

Der Garten war und blieb leer. Sie war fort. Nun galt es, 5000 Dollars anzuschaffen. Ich wollte sie unter allen Bedingungen schaffen, oder sterben. Das stand fest bei mir. Ich lernte nun portraitiren, wie Einer und schon nach einem Vierteljahre hatte ich 100 Dollars in der Bank. Da kam ein Brief. Mein ehemaliger Herr, jetziger Freund, war gerade bei mir. Der „Alte“ schrieb mir, daß seine Tochter seit drei Wochen verstorben sei.

Ich weinte wie verzweifelt und wurde dann still.

„Woran denken Sie?“ frug der Franzose.

„An Tod!“

„Selbstmord, denke ich.“

Ich gab keine Antwort.

„Haben Sie ihr Portrait?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_243.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)