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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

sie, „daß meine Schwester Lusy von ungewöhnlicher Schönheit war. Sie haben sie gesehen, nachdem der Geist, die innerste Quelle der Schönheit, schon seit acht Jahren aufgehört hat, den schönen Formen Nahrung zu geben, und sie ist noch schön. – Unsere Mutter starb, als ich vierzehn und sie erst sechs Jahre alt war. Obgleich wir vom zärtlichsten Vater und einer liebevollen Tante mit der größten Liebe und Sorgfalt erzogen wurden, die Mutter war nicht zu ersetzen. In meinem siebenzehnten Jahre heirathete die Tante, und ich übernahm nun die Stelle einer Herrin des Hauses. Von Schule war für uns Beide nie die Rede gewesen. Was ich gelernt, verdankte ich dem Vater, der Tante und der verewigten Mutter; aber Lusy haßte alles Lernen, und Alles, was sie wußte, verdankte sie ihren Spielen und was ich ihr spielend und scherzend beigebracht. Der Vater haßte allen Zwang, und ich als Schwester vermochte es noch weniger, ihre Freiheit, in der sie so unbeschreiblich reizend und schön war, zu beschränken. Dabei war sie stets so zart und ätherisch, daß ich sie um dieser Schwächlichkeit willen nur um so mehr liebte und eine Sünde zu begehen glaubte, sie zum Sitzen und Studiren anzuhalten. Sie war nur Musik, die sie allein liebte und lernte. Wir behandelten sie immer alle wie ein liebenswürdiges Kind, und es gehört nicht zu dem kleinsten Theile meines ewigen, großen Schmerzes, daß ich ihr nicht mehr Mutter, Erzieherin war. Nur durch Erziehung, durch frühzeitiges Lernen im Wollen, Wissen, Ertragen und Entsagen lernt der Mensch das Leben und seine Geschicke ertragen und beherrschen.

Wir sahen stets viel Gesellschaft bei uns. Man hielt mich für schön, und da ich auch für reich galt, fehlte es mir nicht an Anbetern. Zugleich hielt man mich für eitel, kalt und wählerisch. Doch ich hatte bisher noch Niemanden gesehen, der mir ein mehr als oberflächliches Interesse abgewonnen. Sie sprachen alle zu viel von jagen, fischen und Geschäften, sogar vom Wetter. Auch Herr William W.....w, der seine Absichten am Deutlichsten verrieth, konnte mich trotz des Zuredens meines Vaters und besonders der Schwester nicht bewegen, ihm entgegen zu kommen. Schwester Lusy verrieth ein so warmes Interesse an dieser Verbindung, daß ich für sie zu fürchten begann. Sie war so jung und schwärmerisch, und in ihrer Furcht vor seinem Unglück sah ich die Keime eines Gefühls, das ihrem eigenen schönen Frieden tödtlich werden konnte.

„Wie kannst Du,“ sagte sie eines Tages zu mir, „so einen schönen, edeln, reichen, gebildeten Mann nicht lieben? Hätte ich einen solchen Anbeter“ – sie stockte, erröthete und athmete leidenschaftlich.

„Hättest Du solch einen Liebhaber, was dann?“ fragte ich.

„Ich fühle, daß ich für ihn sterben könnte,“ antwortete sie ernst. „Und Du, die er so leidenschaftlich liebt, willst nichts für sein Glück thun? O, nimm ihn, liebe Mary, ich bitte Dich, sonst wird er so unglücklich. Ich aber kann ihn nicht unglücklich sehen.“

„Nein, liebe Lusy,“ antwortete ich, „selbst Dir zu Liebe kann ich ihn nicht lieben, obgleich ich ihn achte und wegen seines edeln Charakters allen andern Männern vorziehe.“

Lusy schwieg. W.....w setzte seine Besuche auch nach einer verneinenden Antwort fort, bis er sich endlich überzeugt haben mochte, daß sich mein Verhältniß zu ihm nicht ändern lasse. Er verreiste und blieb lange auf dem Continente. Während dieser Zeit lernte ich meinen Mann kennen. Mögen Sie lächeln, aber es ist doch wahr, daß mein Gefühl für ihn noch ganz dasselbe ist, wie an dem Tage, an welchem ich ihn zuerst sah, nur inniger, schöner, ausgebildeter. – Ungefähr nach achtzehn Monaten kehrte W.....w zurück, schöner, männlicher und gebildeter, sogar mit einem schönen Schnurrbarte,“ setzte sie lächelnd hinzu. „Ich war mit meinem Manne noch nicht öffentlich verlobt; der Vater hatte darauf bestanden, daß er erst durch Abwesenheit und Arbeit beweisen sollte, ob sich das Verhältniß auch bewähre. So nahm er denn auch als Theilhaber eines kaufmännischen Geschäfts bald Abschied von uns und bestand die Prüfung. W.....w ging in unserm Hause wie ein alter Freund aus und ein und schien die alte Leidenschaft ganz unterdrückt zu haben. Er ging und sprach mit mir ganz frei und ungezwungen.

Lusy war damals siebzehn Jahre alt, ein zartes, sentimentales Wesen mit den schönsten blauen Augen, den üppigsten braunen Locken und dem feinsten, weißesten Teint, Grazie in allen ihren Bewegungen, Musik in jedem Worte. Selbst ihr größter Fehler machte sie in den Augen ihrer Anbeter nur noch liebenswürdiger. Sie konnte Tage lang in eleganter Kleidung auf dem Divan liegen und sitzen, Guitarre oder Harfe spielen, liebesieche Romane lesen und Besuche und Anbeter mit der größten Kaltblütigkeit behandeln. Sie war nicht zu bewegen, mich in meinen schweren Pflichten gegen Wirthschaft und Gäste zu unterstützen.

Nach W.....w’s Rückkehr trat eine große Veränderung ein. Er war ihr Pygmalion, sie war lauter Seele, Leben und Wärme in der Gesellschaft. So oft er uns verließ, sank sie in ihre Gleichgültigkeit zurück.

Mit ängstlicher Spannung beobachtete ich W.....w, ob sich Spuren von Gegen-Neigung zeigen würden; doch vergebens. Er spaßte zuweilen mit ihr, wie mit einem unreifen Kinde. Dabei blieb es. Ich bot alle meine Liebe und Beredtsamkeit auf, ihr die Thorheit einer solchen Liebe begreiflich zu machen.

„Ich kann nicht dafür,“ sagte sie; „ich muß ihn lieben, wenn er mich auch haßt. Es ist meine Bestimmung. Nur durch Deine Kälte hast Du sein Herz in Eis verwandelt, und er denkt nun, nie wieder lieben zu können. Aber er soll wieder lieben; ich werde es ihm lehren oder – sterben.“

Vergebens waren meine Ermahnungen, vergebens bewies ich ihr das Unedle einer solchen Leidenschaft; sie wollte, sie konnte sich nicht beherrschen. Und so vergingen qualvolle Monde für mich: er immer kalt oder herablassend spaßend mit ihr, gegen mich mild, weich, gemessen, aber freundschaftlich.

Eines Tages ging ich allein im Parke umher, um einen Plan ausfindig zu machen, wie ich die unglückliche Schwester heilen oder entfernen könne, als W.....w sich mir näherte, mir den Arm bot und mit mir weiter gehend, ernsthaft sagte: „Erschrecken Sie nicht; ich will nicht an vergangene Wünsche erinnern; nur eine Frage. Ich bitte, sie mir ehrlich zu beantworten. Liebt mich Lusy?“

„Was veranlaßt Sie zu einer so seltsamen Frage?“ frug ich ziemlich bestürzt.

Ein Freund vertraute mir unlängst das Geheimniß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_145.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)