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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Während die berittene Narrenzunft mit wahrem Korybanten-Lärm ihren tollen Umzug hielt, trat der Pseudo-Herzog in den Hof und besah sich mit lächelnder Miene das Schauspiel. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von seiner Ankunft unter der Menge und wirkte wie Oel auf empörte Meereswellen. „Der Herzog von Eisenach ist selber da!“ flog’s von Mund zu Mund. „Was wird das geben!“ – Der Steckenreiterzug ging durch’s Dorf, die Musik spielte zwar noch lustig, aber Manchem war doch die Lust vergangen, und wenn der König ihn nicht mit strengem Befehl zusammengehalten hätte, so wäre der Hofstaat wohl von einander gefahren und hätte sich salvirt. Er allein behielt die nöthige souveräne Fassung und Ruhe und brachte seine Leute glücklich alle wieder in’s Pfarrhaus zurück.

Dort war der Pseudo-Herzog unterdessen fast mit dem Pfarrer allein geblieben. Die Menge war mit dem Narrenzug gelaufen, oder hatte sich mit scheuem Respect zurück gezogen. Der Pfarrer schnitt tiefe Reverenzen vor dem vermeinten fürstlichen Herrn und bat flehentlich um Entschuldigung wegen der Mummerei, von der er nichts gewußt hatte. Jan benahm sich ganz passable fürstlich. Er war wortkarg und machte keine Umstände, winkte auch ganz gnädig mit der Hand, man möge sich durch ihn nicht in der Lust stören lassen. Auch geruhte er sich an einem Tische voll Kuchen und Bier nieder zu lassen und sprach den testamentarischen Gaben wacker zu, in aller Ruhe und schmausenden Behaglichkeit die Zurückkunft des Narrenhofs erwartend.

Sobald diese erfolgt war, begab er sich mit dem Pfarrer, der sich stets von neuem für die seinem Hause angethane Ehre bedankte, auf den Hof hinaus, wo der Narrenkönig inmitten seiner furchtsamen Getreuen sich eben anschickte ein Ordenskapitel abzuhalten. Er wollte neue Ritter in den Narrenorden aufnehmen, und gebieterisch winkte er dem Pseudo-Herzog herbei als dem Ersten, welcher den Ritterschlag empfangen sollte. Tauben-Jan wagte nicht zu refüsiren. Er dachte: „Du machst eben so lang mit als der Strang hält.“ Er trat hinzu. Der König befahl ihm nieder zu knieen, und Jan gehorchte. Der König applicirte ihm den Ritterschlag mit dem Narrenkolben über Schulter und Rücken, daß ihm schier Hören und Sehen verging und er beinah das Wiederaufstehen vergessen hätte. Andre folgten nach. Der Herzog that sich in der Maske des Narrenkönigs ein Genüge und bläute das lustige Volk nach Herzenslust durch. Jan restaurirte sich am Doppelbier und dachte: „Er hat mir einen Possen gespielt, was gilt’s, ich spiel’ ihm wieder einen.“

Er hatte schon beim Hereinquellen der Menschen mit dem Narrenzuge den Unterförster Voigt und seine Tochter Marielieschen unter der Menge bemerkt. Jetzt, nach beendigter Ceremonie erhob er sich mit affectirter Würde, winkte mit der Hand und gebot Stille. Darauf räusperte er sich und nahm das Wort mit Gravität: „Meister Tauben-Jan aus der Ruhl hat seine Rolle als Narrenkönig gut gespielt, und ich muß mich ihm für das Vergnügen, das er mir bereitet hat, dankbar bezeigen. So soll er denn meine Gnade auf zweierlei Art erfahren. Erstlich, da ich weiß, daß Tauben-Jan ein Jagdliebhaber ist und einem Rehbock oder einem Hasen gern auf’s Fell brennt, so ernenn’ ich ihn hiermit zum Kreiser auf meinem Ruhler Revier und geb’ ihm die Erlaubniß zur freien Jagd. Er wird sich dafür dankbar bezeigen.“ –

„Spitzbube! Der Teufel soll Dir das Licht halten!“ sagte der Narrenkönig halblaut.

„Zweitens, da ich weiß, daß mein Unterförster Voigt auf dem Heil’genstein in Jan’s einzige Tochter verliebt ist und die beiden jungen Leute einander gern heirathen möchten, so gebe ich zu solcher Verbindung hiermit meine fürstliche Einwilligung. Meister Jan wird ohne Widerrede sogleich seine väterliche Einwilligung geben. Kommt her, Voigt und Marieliese, ihr sollt mit einander verlobt werden.“

Pseudo-Jan machte ein grimmiges Gesicht, und wenn der Unterförster mit seinem niedlichen Schätzchen nicht in diesem Augenblick pfiffig lächelnd vor ihn getreten wäre, so würde vielleicht ein heftiger Ausbruch des fürstlichen Zornes erfolgt sein; denn der Herzog hatte im Nu die ganze ihm gespielte Intrigue durchschaut. Als er aber dem Mädchen in das niedliche unschuldige von Rosen und Lilien überhauchte Gesichtchen und in das glückstrahlende blaue Auge sah, hatte er schnell jede zornige Aufwallung vergessen und sagte lachend: „Recht schön! Ihr sollt ein Paar sein. Ich bin dem Durchlauchtigsten Herzog für seine Gnade sehr verbunden.“

Nun gab’s ein großes Jubiliren. Die Musik spielte einen lustigen Tanz; der Unterförster schwenkte sein Bräutchen und sogleich schlossen sich andre Paare an. Der Pseudo-Herzog leerte eine Kanne auf einen Zug, um sich die Schmerzen zu vertreiben, die ihm der empfangene Ritterschlag verursachte; und der Pseudo-Tauben-Jan that ebenfalls tüchtig Bescheid und spülte sich den letzten Rest von Aerger hinunter. Zur rechten Zeit hatte er sich erinnert, daß er hierher gekommen sei, an der Fröhlichkeit der Pfarrkirmeßgäste Theil zu nehmen, nicht aber sie zu stören. Als nun Alles in voller Lust tobte, ging er zu seinem Ebenbilde hin und sagte leise zu ihm: „Jetzt ist das Maß voll, frecher Patron. Tummle Dich, daß Du meine Kleider vom Leibe ziehst, wenn ich Dich nicht mit diesem Narrenkolben noch wacker durchbläuen soll. In der Knechtskammer hinten liegen die Deinigen.“

Jan verschwand im Nu. Bald wurde auch der Herzog nicht mehr gesehen.

Herr Werneburg hatte sich über Tauben-Jan’s gespielten Streich mehr geärgert als der Herzog selbst und bei sich beschlossen, dem frechen Taubenzüchtiger einen Denkzettel anzuhängen, den er sobald nicht vergessen solle. Während sich nun Jedermann im Pfarrhause der ausgelassensten Heiterkeit bei Kuchen, Bier, Musik und Tanz hingab, lag er dem Ortsschulzen im Ohre, berichtete den wahren Zusammenhang der Geschichte und stellte das bestimmte Verlangen, daß Tauben-Jan wegen Verletzung des dem Herzoge schuldigen Respects festgenommen und nach Eisenach in’s Gefängniß abgeführt werden solle. Der Schulz versah sich sofort mit seiner Polizeimannschaft, dem Nachtwächter und einigen jungen kräftigen Bauern und bestimmte den Pfarrer ein wohlverwahrtes Gemach einzuräumen, worin der Verbrecher bis zu seiner Abführung eingesperrt und bewacht werden sollte. Kaum war diesem Verlangen gewillfahrtet, als der Herzog in seinen Kleidern sich sehen ließ. Die Seebacher Ordnungsmannschaft stürzte sogleich auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_110.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)