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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 10. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Der Seewicher Pfarr-Kirmesstag.

Ein Bild aus dem thüringischen Volksleben.
von
Ludwig Storch.
Fortsetzung.


Zu den großen Liebhabereien des fürstlichen Herrn und Gebieters von Eisenach gehörten außer den Pferden und Hunden, die sich gleichsam von selbst verstanden, die Haushähne, die Tauben und die Finken. Die Leidenschaft für diese gefiederten zweibeinigen Erdenbewohner hatte er als junger Prinz schon in der Ruhl eingesogen; denn zu den vielen Eigenthümlichkeiten dieses reichbelebten Thalortes gehörte auch die Leidenschaft für die genannten Vögel und zwar in einer Stärke, von der man in unsrer blasirten Zeit keine Vorstellung mehr hat. Es gab da Messerschmiede, welche für einen gut eingelernten Finken mit Freuden eine gut milchende Kuh hingaben. Schöne Tauben zu haben war gewissermaßen die beste Bürgschaft für den guten Ruf eines Mannes. Ein Messer- oder Schnallenschmied mit einem Taubenhause voll ausgezeichneter Tauben galt für einen ehrenwerthen, rechtschaffnen und solventen Mann, und wer dazu noch einen oder ein paar prächtige Kampfhähne hatte, stand gewiß im hohen Ansehen in den drei Gemeinden des Orts. Wer einen rechten „Beißer“ besaß, durfte so stolz darauf sein, wie nimmer auf ein eignes und wenn noch so hohes Verdienst. Sonnabends Nachmittag, wenn in allen Werkstätten Feierabend gemacht war, kamen die ehrenwerthen rusigen Schmiede mit ihren Hähnen, die kurz vorher mit in Brandwein eingeweichten Gerstenkörnern gefüttert und dadurch zwiefach hitzig gemacht worden waren, an gewissen Plätzen zusammen. Die Thiere wurden auf einander losgelassen und nun ging zum höchsten Ergötzen der zahlreichen Zuschauerschaft die Beißerei los, die nicht selten damit endigte, daß einer der Hähne todt auf dem Platze liegen blieb. Man war daran gewöhnt, erst den Erbprinzen und später den Herzog zuweilen unter diesen Zuschauern zu sehen, und in der That ergötzte sich der hohe Herr nicht minder an dem Straßenschauspiel wie der geringste Messerschmiedslehrjunge.

In Bezug auf den Herzog hatte die Ruhl noch eine andre Merkwürdigkeit, nämlich einen Mann, welcher eine überraschende Aehnlichkeit mit Sr. Durchlaucht hatte. Es war dies der Schalenschneider Johann Christian Gößel, in der Ruhl nur mit seinem Spitznamen „Tauben-Jan“ benannt, den er von seiner großen gleichsam sein ganzes Leben aufzehrenden Leidenschaft für die Tauben erhalten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_097.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)