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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

bist; es wäre wirklich schade, wenn Du sie einem so zerstreuten Dinge, wie ich bin, lassen wolltest. Ich liebe zwar Blumen, aber nur in einem ordentlichen Bouquet, geschnitten und gebunden, so daß man sie mit in eine Gesellschaft nehmen kann; aber das ewige Pflegen, Aufpassen und Begießen ist Alles nichts für mich.“

„Mach’ Dir deshalb keine Sorgen, Ketty,“ sagte Florence lächelnd, „ich werde Deine Talente nicht in Anspruch nehmen; es ist schon ein Asyl für meine Favoritin gefunden.“

„O, dann weißt Du auch schon, was ich sagen wollte: Mrs. Marshall hat wahrscheinlich schon mit Dir gesprochen; sie war gestern hier und ich berichtete ihr sehr feierlich über den Verlust, der Deinem Lieblinge bevorstehe und so weiter; und da sagte sie, sie würde sich sehr glücklich fühlen, wenn sie sie in ihrem Treibhause haben könnte, weil sie jetzt so allerliebst ist und so schöne Knospen hat. Ich sagte ihr, Du würdest ihr die Blume sehr gern geben, weil Du doch die Mrs. Marshall so ungemein lieb hast.“

„Es thut mir sehr leid, Ketty, aber ich habe schon anderweitig darüber verfügt.“

„Wer soll sie denn bekommen, Du hast doch so wenig Freundinnen hier?“

„Oh, das ist nur eine meiner wunderlichen Grillen.“

„Ach sag’ es mir doch, Florence.“

„Nun, Cousine, Du kennst ja das kleine blasse Mädchen, der wir Näharbeit gegeben haben?“

„Wie, die kleine Mary Stephens? wie komisch! Siehst Du, Florence, das ist wieder einmal eine von Deinen altjüngferlichen Ideen - Du machst Puppen für kleine Kinder zurecht und arbeitest Mützchen und Strümpfe für alle schmutzigen Bälge rund umher. Ich glaube wahrlich, Du bist häufiger in den zwei dunklen häßlichen Gassen hinter unterm Hause, als je auf der Promenade gewesen, obwohl Du weißt, daß dort sich jeder halb todt sehnt, mit Dir zusammen zu kommen; und nun, um Allem die Krone aufzusetzen, willst Du dies kleine Bijou einer Nätherin schenken, während eine Deiner intimsten Freundinnen, aus gleichem Stande mit Dir, es so werth halten würde. Was sollen Leute in ihren Verhältnissen mit Blumen machen?“

„Dasselbe, was ich damit thue,“ entgegnete Florence ruhig. „Hast Du nicht bemerkt, daß das kleine Mädchen jedesmal, wenn sie herkommt, sehnsüchtig die geöffneten Knospen betrachtet? und entsinnst Du Dich nicht, wie sie mich letzthin so hübsch fragte, ob ich wohl erlaubte, daß ihre Mutter herkomme und sie sich ansähe, sie liebe die Blumen so sehr?“

„Aber, Florence, denke Dir nur einmal diese schöne Pflanze auf einem Tisch mit Schinken, Eiern, Käse und Mehl stehen, und in dem kleinen Zimmer erstickt, wo Mrs. Stephens und ihre Tochter gewöhnlich waschen, plätten und kochen und Gott weiß was sonst noch alles.“

„Nun, Ketty, wenn ich gezwungen wäre, in einem kleinen Zimmer zu leben, und daselbst zu waschen, zu plätten und zu kochen, wie Du sagst - wenn ich jeden Augenblick meines Lebens schwere Arbeit thun müßte, und von meinem Fenster aus nichts weiter sähe, als Dächer und schmutzige Gassen, so würde eine solche Blume mir unsägliche Freude bereiten.“

„Bah, Florence - Sentimentalität: arme Leute haben keine Zeit, sentimental zu sein, und dann glaube ich auch gar nicht, daß die Blume bei ihnen gedeihen wird; es ist eine Treibhauspflanze und muß sehr zart behandelt werden.“

„Oh, was das betrifft, so fragen die Blumen nicht darnach, ob ihre Besitzer reich oder arm seien; und mag Mrs. Stephens auch sonst nichts haben, so hat sie doch eben so schönen Sonnenschein als der ist, der durch unsere Fenster strahlt. Die schönen Gaben, die von Gott kommen, sind Gaben für alle Menschen. Du wirst sehen, daß meine schöne Rose in Mrs. Stephens Zimmer eben so gesund und munter blüht, wie in dem unsrigen.“

„Nein, wie thöricht! wenn man armen Leuten etwas giebt, so sollte man ihnen doch etwas Nützliches geben - einen Korb voll Kartoffeln, einen Schinken oder so etwas.“

„Gewiß, Kartoffeln und Schinken müssen auch gegeben werden; wenn man aber für die dringendsten Bedürfnisse gesorgt hat, warum nicht auch kleine Freuden bereiten, wenn dies in unsrer Macht steht? Ich weiß, es giebt viele Armen, die ein feines Gefühl und einen klaren Sinn für das Schöne haben, aber er stirbt ab, weil sie in zu bedrängter Lage sind, um ihm irgend Nahrung zu geben. Da ist z. B. die arme Mrs. Stephens: ich weiß, daß sie Vögel und Blumen und Musik eben so liebt, wie ich. Ich habe ihr Auge leuchten gesehen, wenn sie die Dinge in unserm Wohnzimmer betrachtete, und doch kann sie sich nichts Aehnliches anschaffen: die Noth zwingt sie dazu, ihr Zimmer, ihre Kleidung und Alles, was sie hat, einfach und schlecht zu halten. Du hättest nur sehen sollen, wie sie und Mary entzückt waren, als ich ihnen meine Rose anbot.“

„Ach Gott, Beste, das mag Alles wahr und schön sein, aber ich habe nie früher daran gedacht. Es ist mir nie eingefallen, daß solche Arbeitsleute eine Idee von Geschmack hätten.“

„Woher käme es denn, daß man bei ihnen den Geranium oder die Rose so sorgfältig in dein alten Scherben in dem ärmlichsten Zimmer gepflegt oder den Epheu in einem Kasten um das Fenster gewunden sieht? Beweist das nicht, daß das menschliche Herz in allen Verhältnissen des Lebens nach dem Schönen dürstet? Entsinnst Du Dich nicht, Ketty, daß unsere Wäscherin einmal nach harter Tagesarbeit die ganze Nacht aufsaß, um ihrem ersten Kinde ein hübsches Taufkleid zu machen?“

„Ja, und ich weiß auch, wie ich Dich ausgelacht habe, daß Du ein so geschmackvolles Mützchen dazu machtest.“

„Nun, Ketty, ich glaube, der Ausdruck der reinsten Freude, mit dem die Mutter ihr Kind in dem neuen Anzuge betrachtete, belohnte wohl hinreichend die Mühe, daran gearbeitet zu haben: ich glaube nicht, daß sie dankbarer gewesen wäre, wenn ich ihr einen Sack Mehl geschenkt hätte.“

„Nun, mir ist’s früher nie eingefallen, den Armen irgend etwas Anderes zu geben, als was sie wirklich brauchten, und das that ich immer sehr gern, wenn es mir nicht zu viel Mühe machte.“

„Liebste Ketty, wenn unser himmlischer Vater nach denselben Grundsätzen bei seinen Gaben verführe, so würden wir nur rohe, ungestaltete Haufen von Lebensmitteln

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)