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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

saß eine noch schöne Frau mit zwei Kindern von acht bis zehn Jahren, die Patronen machten. Der Graf stellte mich seiner Gemahlin vor, die mir würdevoll die Hand zum Kusse reichte, als wären wir im Schlosse zu Versailles. Dann setzten alle sich an den Tisch, die Pistolen zur Seite. Ich bewunderte die ruhige Fassung und wagte endlich zu dem Grafen zu sagen: „Ich bin zwar nur Lieutenant, verbürge mich aber, für Sie jetzt noch die Capitulation zu erwirken, die Ihnen im Anfang geboten wurde: freien Abzug für Ihre Leute und Pässe für Sie und Ihre Familie.“

„Mein König,“ antwortete der Graf, „hat mich nicht ermächtiget zu capituliren. Fragen Sie meine Leute: wollen sie sich ergeben, willige ich unter einer einzigen Bedingung ein, - unter der Bedingung, daß man mich auf das Schaffot führe.“

„Es lebe der König!“ riefen die Anwesenden.

Am andern Tage stürmte mein Regiment von neuem vergeblich; am dritten kamen die Kanonen an. Ich bot noch einmal die Capitulation an, der Graf aber sagte nichts als: „Wenn Sie einmal den König sehen, theilen Sie ihm mit: Graf von Kervegan ist für seinen König gestorben, wie seine Väter für ihren König starben.“

Die Kanonen begannen gegen das Schloß zu donnern.

In der Nacht ließ mich der Graf rufen. Er war mit seiner Frau und drei seiner Söhne allein und begann ohne Weiteres: „Ich habe einige Fässer Pulver in dem einzeln stehenden Thurme. Morgen werden wir uns da in die Luft sprengen. Sie sollen unser Schicksal nicht theilen. Für Ihr Leben aber verlange ich das Leben meiner Frau und zweier meiner Söhne.“

„Herr Graf, nehmen Sie die Capitulation an!“ bat ich so dringend als möglich.

„Nein; aber ein Kervegan ist schon gefallen; zwei werden morgen sterben; meine alten Könige dürfen Ihren Kervegan nicht vermissen, wenn sie zurückkommen. Das Loos hat entschieden, welcher von meinen Söhnen bei mir bleiben soll: der jüngste.“

„Warum wollen Sie ihn nicht auch retten?“

„Weil das Boot, das Sie hinwegführen soll, nur vier Personen tragen kann.“

Was ich auch that, ich vermochte den Entschluß des eisenfesten Mannes nicht zu erschüttern. Der Abschied war ergreifend; mir traten die Thränen in die Augen, als die Mutter ihren Sohn lange umarmt hielt, der mit dem Vater sterben sollte; aber sie umarmte ihn - ohne Thränen; sie sah in ihm einen Märtyrer der guten Sache.

Nach einer Stunde waren wir am Ufer. Als der Morgen dämmerte, erschütterte furchtbarer Donner die Erde und blutroth leuchtete eine riesige Feuergarbe empor - der Thurm im Schlosse war in die Luft geflogen, der Graf mit seinem Sohne und seinen Dienern für seinen König gestorben. Die Gräfin fiel in Ohnmacht.

„Und trotz solchen Männern ist die Monarchie gefallen, konnte die Monarchie fallen!“ sagte Napoleon. „Was ist aus der Gräfin geworden?“

„Sie ging nach Spanien; jetzt ist sie in Hartwell bei dem Grafen von Provence mit ihrem ältesten Sohne.“

„Und der andere?“

„Dient in der spanischen Armee. Er ist vielleicht achtzehn Jahre alt.“

Nach etwa einem Monate ging Napoleon Abends in seinem Zelte in Spanien auf und ab. Er hielt einen Bericht eines Generals in der Hand und las. Eine Stelle darin schien seine Aufmerksamkeit zu erregen, denn er rief den Adjutanten, der ihn auf der Reise begleitet hatte.

„Rufen Sie den Oberst des 64. Linienregiments.“

Der Oberst erschien bald.

„Wie ist das mit dem jungen Franzosen, der Sie gerettet hat?“

„Ich hatte mich mit zehn Mann meiner Colonne verirrt und gerieth in einen Hinterhalt in einer engen Schlucht, wo hinter jedem Busche eine Kugel hervor pfiff. Bald waren nur noch vier Mann bei mir. Wir wurden nun umringt; meine Leute fielen sämmtlich und einer der Spanier setzte auch mir sein Gewehr auf die Brust. Aber plötzlich blitzte es in der Nähe, der Mann, der mich niederschießen wollte, brach zusammen und gleichzeitig hörte ich mir eine Stimme französisch zurufen: „Ergeben Sie sich nicht.“ Ich erlangte meine Kaltblütigkeit wieder. Ein junger Mann, der in jeder Hand ein Pistol hielt und die noch rauchende Flinte umgehangen hatte, war mit ein Paar Sprüngen bei mir. Wir griffen die wenigen Feinde an, bis ich stürzte . . Als ich wieder zu mir kam, verband mich der junge Landsmann. Um uns her lagen fünf todte Spanier. Mein Retter war sehr jung, etwa siebenzehn Jahre alt, sehr blaß und von Blut bedeckt. Er hatte siebenzehn Stiche mit einem catalonischen Messer erhalten und wurde neben mir bald ohnmächtig. Zum Glück war das Schießen gehört worden und eine Compagnie Carabiniers rückte im Sturmmarsch heran. Ich ließ den jungen Mann ins Lager bringen; seine Wunden sind meist nicht gefährlich und die Aerzte machen mir Hoffnung, sein Leben zu retten.“

„Wo ist der junge Mann?“ frage der Kaiser.

„Hier in meinem Zelte.“

„Ich will ihn sehen . . Bringen Sie mich zu ihm.“

Der junge Mann schlief. Er war siebenzehn bis achtzehn Jahre alt, blond und klein.

„Wecken Sie ihn,“ sagte Napoleon.

Der Oberst that es und flüsterte ihm zu: „Der Kaiser!“

Der Verwundete richtete sich ein wenig auf und neigte lächelnd das Haupt.

„Wie kommt es, daß Sie in Spanien sind?“ fragte Napoleon.

„Ich diente in der Garde des Königs.“

„Und,“ fragte der Kaiser mit Stirnrunzeln, „Sie kämpften gegen Ihre Landsleute?“

„Nein, Sire; ich trat aus dem Dienste des Königs, sobald der Krieg begann.“

„Kehren Sie nach Frankreich zurück.“

„Ich bin ausgewandert.“

„Ich werde Sie aus den Listen streichen lassen.“

„Ich danke, Sire. Bei Gott, ich habe nicht die Absicht, Sie zu beleidigen. Ich bewundere Sie als Feldherrn, ich liebe Sie um des Ruhmes willen, den Sie meinem Vaterlande geben.“

„Nun?“

„Ich hatte drei Brüder . . Zwei sind in der Vendée für den König gefallen . .“

„Wie heißen Sie?“ fragte Napoleon rasch.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)