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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

auf Leinwand gedruckt werden, die sich übrigens eben so wenig wie die Neustädter, durch geschmackvolle Ausstattung auszeichnen. Dem Nützlichkeitsprincip wird durch solche Bücher mehr gehuldigt als dem Schönheitssinn.


Das Mikroskop und die Industrie. Wie mit der fortschreitenden Wissenschaft der Aberglaube und die falschen Aufstellungen einer vergangenen Zeit mehr und mehr schwinden, so werden durch dieselbe auch Betrug und Schwindel schwieriger oder ganz und gar unmöglich gemacht. Der Optikus Chaudier in Paris, Rue de Varennes, hat in neurer Zeit ein Mikroskop gebaut, das besonders für Kaufleute und Fabrikanten von Weberei- und Spinnereistoffen eingerichtet ist und für diese zweifellos sehr nützlich werden muß. Durch dieses Mikroskop unterscheidet man nämlich ganz genau die Haare, die Wollgattungen, die Baumwolle, den Flachs, den Hanf, die Seide etc. von einander und wenn dies geübtern Kennern bisher auch mit der Loupe möglich wurde, so war dies doch nur da der Fall, wo das fremde Material in starkem Verhältniß mit eingemischt war, der Belang also nothwendig in die Augen springen mußte. Wo es sich aber um einige Hunderttheile handelte, reichte weder der Kennerblick noch die Loupe aus.

Unter diesem Mikroscop erscheinen die Haare gerade und an einem Ende zugespitzt. Die Kaschemirwolle zeigt einen viel geringern Durchmesser als die gewöhnliche Wolle und ihre Endchen sind bogenartig geformt, ohne jemals wie die feine Wolle gedreht zu sein, welche ihr Vorhandensein immer durch einige Fäden gröbere Wolle, welche man damit gemischt findet, verräth. Die Baumwolle insbesondere unterscheidet sich von allen andern Faserstoffen durch ihre breite, gedrückte und dünne Form, welche sie wie ein an manchen Stellen umschlungenes und zusammen gezogenes Band erscheinen läßt. Mit dieser einfachen Kenntniß ist es unmöglich, daß ein Fabrikant vermischte Rohstoffe kaufe, ohne daß er dieselben bemerke, und auch der Konsument wird sehr leicht irgend ein Gewebe, selbst Shawls[WS 1], diese kostbaren Gewebe, bei denen der Betrug außerordentlich groß ist, analysiren können. Ebenso ist es, wenn man die verhältnißmäßige Feinheit der Wollgattungen, ihre Verschiedenheit in Farbe und Nüance unterscheiden und bestimmen will. – Das Mikroscop kostet übrigens nur Einen Thaler.


Amerika und Deutschland. Mehr und mehr nehmen die amerikanischen Zustände das Interesse Deutschlands in Anspruch und der deutsche Buchhandel läßt es sich angelegen sein, der Wißbegierde nach jeder Richtung hin Befriedigung zu schaffen. Die politischen Zeitungen bringen in ihren Feuilletons die ausführlichsten Berichte über die dortigen politischen Zustände und Persönlichkeiten, die Auswanderungszeitungen, deren bereits drei bestehen, bieten jede Woche die reichhaltigsten Mittheilungen aus dem Lande, nach dem sich so Viele sehnen, und neuerdings sind in Bremen und Göttingen zwei neue Zeitschriften, das Westland und Atlantische Studien, entstanden, die sich lediglich nur mit Amerika’s politischen, socialen und literarischen Zuständen befassen. Außerdem erscheinen fast jede Woche mehr oder weniger umfangreiche Bücher über den Westen, dessen Bedeutung und Einfluß auf Europa mit jedem Tage riesengroß wächst.


Eine heitere Staatseinrichtung. Aegypten – erzählt Wilhelm Gentz[WS 2] in seinen soeben in Berlin erschienenen interessanten Briefen aus Aegypten und Nubien[WS 3] – Aegypten ist das Land, in dem, wenn man keine Geduld besitzt, man dieselbe erlernen kann. Die Gelegenheiten mangeln nicht, wo dieselbe auf die Probe gestellt wird. Was man bei uns an einem Tage abmachen kann, dazu gebraucht man hier ihrer acht. Von Worthalten ist keine Rede; alles Falschheit, Lüge, Interesse, Betrug; eine Demoralisation im höchsten Grade. In der europäischen Türkei[WS 4] existirt wenigstens ein Schatten von Gerechtigkeit, hier davon nicht einmal die Spur. – Um ein Beispiel anzuführen, will ich von den Spitzbuben reden.

Auch heute noch bilden, wie im alten Aegypten, Spitzbubenbanden einen integrirenden Theil des Staatsorganismus; ihre von der Regierung autorisirten Scheiks (Chefs) verpflichten sich nur, nichts, was dem Staate gehört, zu stehlen, oder, wenn etwas gestohlen wird, es zurückzugeben. Einer der jetzigen Chefs, ein hagerer, langer Kerl, mit großem Kopf, noch größeren Augen, langen Armen, starrem nüchternen Blick, schmalen Lippen, denen selten ein Wort zu entreißen ist, verdankt folgender Geschichte sein Glück, an die Spitze gestellt zu sein. –

Wenn ein Spitzbube in die Innung tritt, sucht er seine Geschicklichkeit durch eine kühne That zu bezeugen. Dieser nun drang Nachts in’s Palais Mehemet Ali’s und zwar trotz aller Wachen und Eunuchen bis in das Schlafzimmer, und nahm den Rosenkranz und Dolch des Fürsten vom Betttisch; da aber Mehemet Ali nicht schlief und ganz wenig die Augen öffnete, zog der Spitzhube, der dies sogleich bemerkte, den Dolch aus seinem Heft und hielt ihn eine Viertelstunde schwebend über seinem Kopf, während welcher Zeit er wahrscheinlich nachdachte, ob er den Mord begehen sollte oder nicht. Mehemet Ali that, als ob er schliefe; der Spitzbube entfernte sich und schickte ihm folgenden Tages den gestohlenen Dolch und Rosenkranz zurück, wie dies immer geschieht, wenn das Entwendete des Pascha’s oder der Regierung Eigenthum ist. Der Kriegsminister drang darauf, den Dieb hinrichten zu lassen; der Pascha meinte aber, daß so seltene Talente erhalten werden müßten, gab ihm eine jährliche Pension und machte ihn zum Chef der ganzen Innung.

Wenn Jemandem etwas gestohlen und dies zurück gewünscht wird, so wendet man sich an den Chef, giebt Ihm eine angemessene Belohnung, und man ist sicher, dasselbe zurück zu erhalten. Gewöhnlich thut dies die Regierung; den Spitzbuben bekommt man aber nie. Die Spitzbuben theilen ihre Beute unter sich, den Chefs und den Regierungsbeamten. Will man eine Reise machen, und vor Ueberfällen sich sichern, dann läßt man sich einen Firman[WS 5] geben, den man theuer bezahlt, weil einen Theil davon die Regierung, einen andern aber die Innung nimmt: dann ist man sicher, daß man respektirt wird. – Bei den alten Aegyptern war dieselbe Sitte; auch bei den Spaniern fanden sich ähnliche Gebräuche.


Thierseelenkunde. Unter diesem Titel ist in Leipzig eine Schrift erschienen, die in sehr ansprechender Form die interessantesten Mittheilungen aus der Thierwelt enthält. Wir machen unsere Leser darauf aufmerksam und bemerken noch, daß der in der heutigen Nummer abgedruckte Aufsatz: das Kriegs- und Friedensleben der Ameisen, größtentheils diesem Buche entnommen ist.

E. K.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Shwals
  2. Karl Wilhelm Gentz (1822-1890), deutscher Maler (Quelle: Wikipedia)
  3. „Briefe einer Reise nach Ägypten und Nubien 1850/1851“, Berlin 1853
  4. Vorlage: In Europa (Korrektur gemäß Heft 6, Seite 66)
  5. Erlass, Dekret, Vollmacht oder Verordnung eines Souveräns in islamischen Ländern (Quelle: Wikipedia)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)