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könnte, zu denen gehört, welche sich mit jedem Tag vermindern lassen; das Dorf wird nicht verfehlen, sich gesundere Wohnungen zu geben von dem Augenblick an, wo der Bauer nicht mehr das Lasttier des Pächters, des Fabrikanten, des Wucherers und des Staates ist. Um eine zeitweilige und leicht zu beseitigende Ungerechtigkeit zu vermeiden, sollte es nötig sein, die seit Jahrhunderten bestehende und ungeheure Ungleichheit aufrecht zu erhalten?

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Die sogenannten praktischen Einwürfe sind von gleicher Beweiskraft.

„Seht euch einmal jenen armen Teufel an“, wird man zu uns sagen. „Auf Grund von Entbehrungen hat er sich endlich für sich und die Seinen ein Häuschen erwerben können. Er ist darin glücklich; und ihr wollt ihn auf die Straße werfen?“

– Gewiß nicht! Wenn sein Häuschen gerade dazu hinreicht, um seiner Familie ein Obdach zu geben, so möge er es weiter bewohnen, wir haben keineswegs etwas dagegen; möge er auch weiterhin den von seinen Fenstern gelegenen Garten kultivieren. Unsere Genossen werden nötigenfalls ihn aufsuchen und ihm die Bruderhand bieten. Aber wenn sich in seinem Hause ein Gemach befindet, daß er an einen anderen vermietet, so wird das Volk letzteren aufsuchen und zu ihm sprechen: Wisse, Kamerad! Du schuldest jenem Alten nichts mehr. Bleibe in deinem Gemache, aber zahle keinen Mietzins fürderhin. Du brauchst keinen Gerichtsvollzieher mehr zu fürchten.

Und wenn der Eigentümer für sich allein zwanzig Zimmer bewohnt und es in dem gleichen Viertel eine Mutter mit fünf Kindern gibt, die nur ein Zimmer besitzt, so wird das Volk sehen, ob es unter den zwanzig Zimmern nicht einige gibt, die nach etlichen Umänderungen ein nettes kleines Quartier für die Mutter mit den fünf Kinderchen abgeben könnte. Wäre es etwa gerechter, die Mutter und die fünf Kleinen in der stallähnlichen Wohnung zu belassen und den wohlgenährten Herrn im Schlosse? Auch der reiche Herr wird sich übrigens bald in eine solche Aenderung schicken; sobald er keine Bedienten mehr hat, die ihm seine zwanzig Zimmer in Ordnung halten, wird die „gnädige Frau“ froh sein, wenn sie die Hälfte der Räumlichkeiten abgeben kann.

– „Aber dies wird ein vollständiges Wirrwarr bedeuten“, werden die Verteidiger der Ordnung rufen. „Die Wohnungswechsel werden kein Ende nehmen. Dies käme einem Zustand gleich, wo alle Welt auf die Straße geworfen und dann eine Verlosung der Wohnungen vorgenommen würde.“ – Nun, wir sind überzeugt, daß, falls sich keine Regierung hineinmischt, und falls man die ganze Umgestaltung den Händen der spontan zu diesem Zwecke sich bildenden Gruppen überläßt, die Wohnungswechsel weniger zahlreich sein werden, als sie es heute im Verlauf eines Jahres infolge der Habgier der Eigentümer sind.

Es gibt erstlich in allen einigermaßen großen Städten eine so große Anzahl unbenutzter Wohnungen, daß diese fast genügten, um dem größten Teil der Höhlenbewohner ein nettes Heim zu bieten. Was

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/81&oldid=- (Version vom 3.6.2018)