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die Luxuslebensmittel, beträchtliche Quantitäten von Getreide und Fleisch.

Aber in der Revolution wird man nicht mehr auf das Ausland zählen dürfen oder doch wenigstens so wenig wie möglich auf dasselbe rechnen. Wenn das Getreide Rußlands, der Reis Italiens und Indiens und die Weine von Spanien und Ungarn heute die Märkte des westlichen Europas überschwemmen, so rührt das nicht daher, weil die exportierenden Länder deren im Ueberfluß besitzen oder weil jene Produkte dort wild wachsen, wie die Butterblumen auf den Wiesen. In Rußland z. B. arbeitet der Bauer täglich 16 Stunden und fastet in jedem Jahr drei bis sechs Monate, um das Getreide zu exportieren, mit dem er seinen Herrn und den Staat bezahlt. Mit dem Augenblicke, wo die Ernte eingebracht ist, zeigt sich heute die Polizei in den russischen Dörfern und verkauft für die rückständigen Steuern und Zinsen die letzte Kuh, das letzte Pferd des Landmannes, falls dieser nicht selbst und freiwillig durch den Verkauf des Getreides an die Exporteure seine eigene Pfändung besorgt. Er behält für sich gerade nur das für neun Monate unbedingt notwendige Getreide und verkauft den Rest, damit man seine Kuh nicht zu einem Preise von 15 Francs verkauft. Um bis zur nächsten Ernte leben zu können, muß er während dreier, wenn das Jahr gut, während sechs Monate, wenn es schlecht war, Birkenrinde oder Meldenkörner zu seinem Mehl mischen, und in London delektiert man sich an den Biskuits, die man aus seinem Weizen hergestellt hat.

Aber wenn die Revolution kommen wird, so wird der russische Bauer das Brot für sich und seine Kinder bewahren. Die italienischen und ungarischen Bauern werden desgleichen tun; hoffen wir, daß auch der Hindu ihrem guten Beispiel folgt und ebenso die Arbeiter der Bonanza-Farmen in Amerika, für den Fall, daß diese Domänen nicht schon durch die Krisis desorganisiert sind. Man darf also nicht mehr auf die Zufuhr an Getreide und Mais aus dem Auslande zählen.

Wo unsere ganze bürgerliche Zivilisation auf der Ausbeutung der unteren Klassen und der in der Industrie zurückstehenden Länder basiert, wird die erste Wohltat der Revolution schon darin bestehen, daß sie diese „Zivilisation“ bedroht, und zwar dadurch, daß sie den sogenannten unteren Klassen Gelegenheit gibt, sich zu emanzipieren. Aber diese ungeheure Wohltat wird sich in einer gewissen oder beträchtlichen Verminderung der Zufuhren an Lebensmitteln, die sonst den Großstädten zufließen, ausdrücken.

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Für das aufständische Land selbst ist ist es schwieriger vorherzusehen, wie die Dinge sich dort entwickeln würden.

Auf der einen Seite wird der Landbebauer sicherlich die Gelegenheit wahrnehmen, um seinen von der Feldarbeit gekrümmten Rücken gerade zu recken. Anstatt 14–16 Stunden, die er heute arbeitet, wird er vernünftigerweise nur die Hälfte dieser Zeit arbeiten, was einer Verminderung in der Produktion der hauptsächlichsten Lebensmittel, des Getreides und Fleisches, gleichkommt.

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/72&oldid=- (Version vom 3.6.2018)