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Ueberall der beste Wille und der lebhafteste Wunsch, den Sieg zu sichern. Großer Opfermut offenbart sich. Das Volk verlangt nichts sehnlicher als vorwärts zu schreiten.

Alles dies ist schön, ist erhaben. Aber es ist noch nicht die Revolution. Im Gegenteil, erst jetzt beginnt die Arbeit des Revolutionärs.

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Die Staatssozialisten, die Radikalen, die verkannten Genies des Journalismus, die effektvollen Redner – Bourgeois oder Ex-Arbeiter – werden zum Stadthaus eilen, in die Ministerien sich begeben und werden auf den verlassenen Sesseln Platz nehmen. Die einen werden sich nach Herzenslust Tressen verleihen, sie werden sich in den Spiegeln der Ministersalons bewundern, sie werden sich einüben, mit gravitätischer Miene von der Höhe ihrer Situation herab Befehle zu erteilen; als unumgänglich wird sich eine rote Schärpe erweisen, eine betreßte Jakobinermütze und vor allem eine Amtsmiene, um ihren ehemaligen Exkameraden von der Redaktion oder der Werkstatt zu imponieren. Andere werden sich in die Akten vertiefen – mit dem besten Willen, etwas darin zu verstehen. Sie werden Gesetze ausarbeiten, Dekrete in feierlichen Tiraden erlassen, um deren Ausführung sich niemand kümmern wird – gerade deswegen, weil man sich in der Revolution befindet.

Um sich eine Autorität zu verschaffen, welche sie nicht besitzen, werden sie die alten Regierungsformen zu sanktionieren suchen. Sie werden Namen wählen, wie provisorische Regierung, Komitee der öffentlichen Sicherheit, Bürgermeister, Kommandant des Stadthauses, Chef der Sicherheit – und was weiß ich für Namen. Durch Abstimmung oder Akklamation gewählt, werden sie sich in Parlamenten oder Ratsversammlungen der Kommune zusammenfinden. Daselbst werden sich nun Männer treffen, die zehn, zwanzig verschiedenen Schulen angehören, die, wie man häufig gesagt hat, nicht persönliche Kirchen sind, aber welche den verschiedenen Auffassungen über die Ausdehnung, Tragweite und Aufgabe der Revolution entsprechen. Possibilisten, Kollektivisten, Radikale, Jakobiner, Blanquisten sehen wir dort, gezwungenermaßen vereint, und ihre Zeit mit leerem Diskutieren verlierend. Ehrliche Männer zusammen mit Ehrgeizigen, die nur von ihrer Herrschsucht träumen und die Masse, der sie entstammen, verachten. Alle, von diametral sich entgegenlaufenden Standpunkten ausgehend, gezwungen, Schein-Allianzen einzugehen, um Majoritäten, die nicht länger als einen Tag währen, zu Stande zu bringen, ständig im Streit, einer den anderen als Reaktionär, als Schurke behandelnd, unfähig, sich über irgendeine ernsthafte Maßnahme zu verständigen; genötigt, sich über Kleinigkeiten herumzuzanken; höchstens dazu gelangend, sich selbst alle außerordentlich wichtig dünkend, während die wahre Kraft der Bewegung auf der Straße sich dokumentiert.

Alles dieses mag diejenigen amüsieren, welche das Theater lieben. Aber noch einmal, es ist nicht die Revolution; nichts ist damit geleistet.

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Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/31&oldid=- (Version vom 21.5.2018)