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der ruhig geschlafen hat. Sie scheinen zu begreifen, daß der Mann und die Frau, die ihre Kräfte bei übermäßiger und vielleicht im Interesse der Gesellschaft geleisteter Arbeit verbraucht haben, sich unfähig fühlen könnten, ebenso viel zu leisten, als diejenigen, welche ihre Stunden angenehm verbracht haben und in der bevorzugten Situation eines Staatsstatistikers ihre „Bons“ eingesäckelt haben.

Und sie beeilen sich, ihr Prinzip zu mildern: „Gewiß“, sagen sie, „wird die Gesellschaft ihre Kinder ernähren und erziehen. Gewiß wird sie den Greisen und Schwachen zur Seite stehen. Gewiß werden die Bedürfnisse den Grad der Leistungen bestimmen, die sich die Gesellschaft auferlegen wird, um das Prinzip „Jeder nach seinen Werken!“ zu mildern.“

Das Mitleid also! Das Mitleid, immer das christliche Mitleid, diesmal durch den Staat organisiert, ist der Beweggrund.

Das Haus für die Findelkinder verbessern, eine Versicherung für das Greisenalter und für Krankheitsfälle ins Leben rufen, – und das Prinzip wird gemildert sein! – „Zu verwunden, um nachher zu heilen“, – davon können sie nicht loskommen!

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Nachdem man also den Kommunismus negiert hat, nachdem man nach Herzenslust über die Forderung „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ gespottet hat, da bemerken sie schließlich – unsere großen Oekonomisten – daß sie etwas vergessen haben – die Bedürfnisse des Produzenten. Und sie beeilen sich, dieselben anzuerkennen. Nur überlassen sie es dem Staat, sie zu begutachten, dem Staat die Bestimmung darüber, ob die Bedürfnisse auch im rechten Verhältnis zu den geleisteten Diensten stehen.

Der Staat wird die Almosenpflege übernehmen. Von hier bis zum Armengesetz und dem englischen Workhouse ist es nur ein Schritt.

Und nicht einmal mehr ein Schritt, da schon die heutige versumpfte Gesellschaft, gegen welche man revoltiert, sich gezwungen sieht, ihr Prinzip des Individualismus zu „mildern“; auch sie hat schon dem Kommunismus Konzessionen gemacht, und unter der gleichen Form des Mitleids.

Auch sie läßt für einen Sou Mahlzeiten verabreichen, um der Plünderung der Läden vorzubeugen. Auch sie hat Hospitäler – häufig sehr schlechte, bisweilen ausgezeichnete – erbaut, um der Verbreitung von Seuchen in ihrer Mitte vorzubeugen. Auch sie hat, nachdem sie die Arbeit nur stundenweise bezahlt hat, die Kinder derjenigen, die bis an die äußerste Grenze des Elends gekommen sind, in Verwahrung und Pflege genommen. Auch sie trägt den Bedürfnissen Rechnung – aus Mitleid.

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Das Elend, wir haben es schon an anderer Stelle gesagt – war die erste Ursache der Reichtümer. Das Elend war es, das den ersten Kapitalisten schuf. Denn bevor man den bösen „Mehrwert“, dem man die Schuld an allem beizulegen liebt, aufhäufen konnte, mußte man erst die

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/152&oldid=- (Version vom 27.8.2018)