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tragen müssen, die man ebenso gut durch eine äußerst einfache Maschine nach den verschiedenen Tischen transportieren könnte. Aber … „die Arbeit der Frauen, die kein Spezialhandwerk kennen, kostet so wenig! Wozu da eine Maschine! Wenn diese Mädchen untauglich sein werden, so wird man sie eben durch andere ersetzen … es gibt deren so viele auf der Straße.“

Auf dem Trottoir vor dem Hause eines Reichen findet Ihr in eisiger Nacht ein barfüßiges, schlafendes Kind mit einem Paket Zeitungen unter dem Arm … Sie kostet so wenig, die Kinderarbeit, so wenig, daß man sie sehr gut dazu verwenden kann, allabendlich für einen Franc Journale zu verkaufen, für welche Mühe dann jener arme Knabe vielleicht 2 oder 3 Sous bezieht. Ihr sehet endlich den kräftigen Mann mit untätigen Armen einhergehen; er feiert während ganzer Monate, während seine jugendliche Tochter sich in der überheizten, dampfigen Fabrik bei der Appretur von Tuchen abquält und während sein Sohn mit der Wichskruke an der Straßenecke steht und ganze Stunden wartet, bis ihn endlich ein Vorübergehender 2 Sous verdienen läßt.

Und so ist es überall, von San Franzisko bis Moskau, von Neapel bis Stockholm. Die Verschwendung menschlicher Arbeitskräfte ist der vorherrschende und charakteristischste Zug unserer Industrie – des Handels gar nicht zu erwähnen, wo sie noch unglaublichere Proportionen annimmt.

Welche traurige Satire liegt in dem Worte „politische Oekonomie“, das man für eine Wissenschaft anwendet, welche die Verschwendung der Arbeitskraft unter dem Lohnsystem zum Ziel hat.

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Doch das ist nicht einmal alles. Wenn Ihr mit dem Leiter einer wohlorganisierten Fabrik sprecht, so wird Euch dieser ganz naiv erklären, daß es heute schwierig wäre, einen geschickten, energischen Arbeiter, der sich seiner Arbeit wirklich mit Lust hingibt, zu finden. – „Wenn sich ein solcher“, so wird er sagen, „unter den zwanzig oder dreißig, die jeden Montag kommen und um Arbeit betteln, vorstellt, so stellt man ihn sicher ein, selbst wenn man gerade im Begriff war, die Zahl der Arbeiter zu reduzieren. Man kennt ihn auf den ersten Blick heraus und man gibt ihm stets Arbeit; man entläßt dann am folgenden Tage einen gealterten oder weniger tätigen Arbeiter.“ Und der Entlassene, wie alle Diejenigen, die morgen entlassen werden, verstärkt die Zahl der ungeheuren Reservearmee des Kapitals, jener arbeitslosen Arbeiter, die man zur Ausübung ihres Berufes einstellt – in eiligen Momenten oder wenn es den Widerstand von Streikenden zu brechen gilt. Oder dieser Auswurf der besseren Fabriken, dieser „schlechtere“ Arbeiter schließt sich vielleicht der ebenso gewaltigen Armee der gealterten Arbeiter oder der Arbeiter zweiten Ranges an, die fortwährend zwischen den Fabriken zweiter Ordnung hin und her fluktuieren, den Fabriken, die kaum ihre Unkosten decken und sich durch Tricks und Fallen, die sie dem Käufer und namentlich dem Konsumenten ferner Länder stellen, aus der Verlegenheit ziehen müssen.

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Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/132&oldid=- (Version vom 17.8.2017)