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Anonym: Edda

Nach der Einleitung, welche die Nornagestsage unserm Liede giebt, fiele dessen Zeitpunkt vor die Verbrennung. Als Brynhild nach dem Scheiterhaufen gefahren wurde, kam sie auf diesem Helwege an einigen Felsklippen vorbei, in welchen ein Riesenweib wohnte. Dieses hielt einen langen Baumast in der Hand und sprach: „Mit diesem will ich deinen Scheiterhaufen vermehren, Brynhild! Und beßer wärst du lebendig verbrannt für deine Unthaten ehe du Sigurd den Fafnirstödter, den berühmten Helden, ermorden ließest.“


29. Das erste Gudrunenlied.

„Das erste Lied von Gudrun,“ sagt Wilh. Grimm, „beschreibt die Unglückliche, die auf keinen Trost der umgebenden Frauen hörend, unbeweglich da sitzt bis bei dem Anblick der Leiche ihr Schmerz sich in Thränen löst. Das ganze Lied, für die Geschichte überflüßig, verweilt bloß bei einem rührenden Augenblicke, auch weiß weder die Wölsungasage noch die Snorraedda etwas davon.“ Darauf führt er aus, wie neue in keinem andern Liede berührte Verwandtschaftsverhältnisse darin berichtet werden, worin nur angenommene, der Sage nicht zugehörige Erweiterungen zu sehen seien. Schon diese laßen auf eine verhältnissmäßig späte Entstehung des Liedes schließen, die aus seiner elegischen Weichheit nicht mit Sicherheit zu folgern ist, da Gudrun überhaupt weiblicher und milder erscheint als Brynhild. Allerdings ist das zweite Gudrunenlied, das oben am Schluß des s. g. Bruchstücks von Brynhild das alte Lied von Gudrun hieß, kräftiger gehalten; dieß liegt aber auch mit an der Situation, da Gudrun, wie der Schluß zeigt, hier schon auf Rache für ihre Brüder sinnt. Was Uns gegen das vorliegende Lied einnimmt, ist das ungünstige Licht, in welches Brynhild Str. 21 gestellt wird, namentlich aber Str. 25 und 26, zu welchen gerade die schlechteste, jedenfalls der Überarbeitung angehörige Stelle des dritten Sigurdsliedes (Str. 37–39) Veranlaßung gegeben hat. Wie dort Brynhild von sich selber angiebt, daß sie auf Atlis Andringen, der ihr, wenn sie unvermählt bliebe, das Vatererbe vorenthalten wollte, Gunnarn die Hand gereicht habe, so wird hier dem Atli die Schuld an allem Unheil beigelegt, und der Tag verwünscht, wo sie des „Wurmbetts Feuer“ an dem Fürsten ersahen. Man darf bei diesem Ausdruck, der allerdings zunächst an Sigurd gemahnt, doch dem Zusammenhange nach nur an Gunnar denken. Wie nach D. 62 das Gold Oturs Buße, der Asen Nothgeld und fernerhin Fafnirs Bette u. s. w. hieß, so ist auch des Wurmbetts Feuer nur eine allgemeine dichterische Benennung des Goldes geworden,

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/450&oldid=- (Version vom 31.7.2018)