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Anonym: Edda

Berufung auf das „kürzere Sigurdslied“ wiederholt. Wenn damit nicht unser Lied gemeint sein sollte, das in seiner gegenwärtigen Gestalt eins der längsten Lieder des nordischen Heldenbuchs ist, so müste das gemeinte verloren gegangen sein. Der Theil unseres Liedes, in welchem sich diese Angabe findet, ist aber gerade der beste und wird aus dem alten kürzern Liede beibehalten sein. Durch die Überarbeitung, bei welcher ältere Lieder benutzt scheinen, hat das Lied an Einheit verloren, da die Einleitung bis Str. 40 mit dem Hauptgegenstand, Brynhildens Selbstmord, im Missverhältniss steht. Die fünf ersten Strophen können die Absicht nicht verbergen, die in der Erläuterung zu dem vorhergehenden Liede bemerkte Lücke in der Sage, namentlich in Bezug auf Sigurds Verlobung mit Gudrun und die Werbung um Brynhild für Gunnar, auszufüllen. Die Str. 6–8 haben zwar viel Schönes, aber die nun folgende Aufreizung gegen Sigurd entbehrt kräftiger Motive, und die welche Gunnarn nach der schleppenden Erwägung Str. 13 endlich zu bestimmen scheinen, der Verlust Brynhilds und ihrer Schätze (Str. 14 und 15), sind so wenig die rechten als die gemeinen, von welchen er sich Str. 16 Högnis Mitwirkung verspricht. Bei der kurzen Darstellung von Sigurds Ermordung Str. 21–27 scheint der Dichter ältern guten, aber unter sich uneinigen Liedern zu folgen. Nach Str. 24 wird Sigurd wie in Hamdismal an Gudruns Seite schlafend ermordet, während Str. 27 mit dem zweiten Gudrunenlied anzunehmen scheint, er sei auf dem Wege zum Thing erschlagen worden. Ganz verwerflich und der Sage widersprechend ist aber die Art, wie Brynhild Str. 34–40 ihren Entschluß, Gunnarn die Hand zu reichen, zu erklären sucht, denn hienach geschah es weil sie weder ihr Vatererbe missen, noch mit ihrem Bruder Atli darum kriegen wollte. Daß sie lieber Sigurds Schätze (!) genommen und sich dem vermählt hätte, dem sie nach Str. 36 früher verlobt war, ist eine lächerlich schwache Beschönigung. Nach der echten Sage muste ihr keine andere Wahl geblieben sein als den zu freien, der die Bedingungen erfüllt hatte, an die ihr Besitz geknüpft war. Daß sie durch die Vorspiegelung als ob Gunnar diese Bedingungen erfüllt habe, bestimmt worden war diesem die Hand zu reichen, darin bestand das wider sie begangene Unrecht, über welches sie sich Str. 55 beschwert. Alle Berechtigung zu dieser Beschwerde fällt weg, wenn sie durch solche Erwägungen, wie die hier ausgeführten, vermocht wurde, dem Manne die Hand zu reichen, den sie nicht liebte. Vergebens sucht sie nach solchen Eingeständnissen den Schein des Wankelmuths am Schluß der Str. 39 von sich abzuwälzen. Dem Überarbeiter war aber das Verständniss der Sage abhanden gekommen. Ihm blieb für

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/445&oldid=- (Version vom 31.7.2018)