Anonym: Edda | |
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Odhins Runenlied wurde. Die arge Frau, die sein Vater umfing (Str. 3), ist die Stiefmutter des Helden, der Gerda oder Menglada zu befreien reitet, und von der todten Stiefmutter, die er aus dem Grabe weckt, nicht heilkräftige Sprüche sondern Ross und Schwert, das Erbe des Vaters, verlangt. Die Stiefmutter des Sonnengotts, die ihm das Schwert, den Sonnenstral, vorenthält, ist die kalte Winterzeit.
Wenn wir den Ruf der Dunkelheit, in dem Hrafnag. stand, nicht bestätigt gefunden haben, so gebührt er diesem Liede eher, an dessen Erklärung sich selbst die Symboliker nicht recht getraut haben, obgleich zur Begründung ihrer Ansicht hier offenbar mehr als irgendwo zu gewinnen war. Das Ganze scheint ein einziges großes Räthsel, dem viele kleinere eingewebt sind, und wenn auch deren Lösung nicht gelingen will, so ist doch ihre mythologische, vielleicht kosmogonische Natur schon wegen der Str. 36–40 und der durchgehends allegorischen Namen nicht zu bezweifeln und wir können der Ansicht Köppens nicht beistimmen, daß dieß Lied mit Unrecht in die Reihe der mythologischen gestellt werde. Selbst Grimm erklärt Myth. 1102 Menglöd für Freyja, worauf auch ihr Name (monili laeta die schmuckfrohe) deutet, indem er auf Brisingamen, den Halsschmuck der Freyja, anzuspielen scheint.
Wenn wir aber die Dunkelheit unseres Liedes zugestehend uns nicht gerade anheischig machen die Aufhellung dieses Dunkels zu bewirken, so können wir doch nicht zugeben, daß es unverständlich sei. Dunkel sind und sollen alle Räthsel sein und bleiben bis ihre Lösung gefunden ist; aber unverständlich wird man sie nicht nennen dürfen, wenn weiter nichts zu ihrem Verständnisse gebricht als die Auflösung. So ist auch unser Lied als Räthsel verständlich, obgleich sein volles Verständniss erst gewonnen werden kann, wenn das lösende Wort sich findet. Unsere Pflicht als Erklärer kann nur die sein, das Räthsel selbst verständlich zu machen, und dieß wollen wir in Nachstehendem versuchen, da die Übersetzung vielleicht Manches nicht klar genug herausstellte.
Swipdagr, Solbiarts, des sonnenglänzenden, Sohn kommt unter dem angenommenen Namen Windkaldr zu einer Burg, die von seiner Verlobten Menglada beherscht wird. Daß beide für einander bestimmt sind, drückt sich auch darin aus, daß wie Swipdagr Solbiarts, des sonnenglänzenden, Sohn heißt, sie selbst auch die sonnenglänzende genannt wird. In der That hat sie seine Ankunft mit Sehnsucht erwartet, und als der Wächter,
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/415&oldid=- (Version vom 18.8.2016)