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Anonym: Edda

dem es auch „des Hohen Lied“ genannt ist. Außerdem besteht es aus drei verschiedenen ursprünglich selbständigen Theilen, von welchen der letzte, Odhins Runenlied, den übrigen ungleichartig scheint, indem es nicht eigentlich ethischen, wenn auch durch seinen Bezug auf den Runenzauber, lehrhaften Inhalts ist. Der mittlere Theil, von den an Loddfafnir gerichteten Rathschlägen Loddfafnismal genannt, ist rein ethisch und nur an seinem Ende auf zauberhafte Heilkunst bezüglich. Dieß hat wohl seine Verbindung mit Odhins Runenlied vermittelt, vor dessen Schluß jetzt sogar Loddfafnir angeredet wird, wodurch der Schein entsteht als wenn es wie Loddfafnismal an ihn gerichtet wäre. Die letzte Strophe des dreitheiligen Ganzen geht wieder auf den ersten ursprünglichen Haupttheil zurück und hat zu dem angehängten Runenliede wohl nie gehört.

Die diesem Haupttheil eingeflochtenen Episoden sind folgende:

1)
die vom Begeisterungstrank bei Gunlödh Str. 12 und 13, eigentlich nicht mehr als eine Anspielung auf die bekannte unter 3 näher besprochene, D. 57 ausführlich erzählte Mythe.
2)
Die von Billungs Tochter Str. 95–101.
3)
Die von der Erwerbung des Begeisterungstranks Str. 104–110.

Durch Einflechtung dieser drei auf Odhin bezüglichen Episoden wollte wohl der Dichter oder Sammler der in dem Haupttheile zusammengestellten altüberlieferten, gröstentheils allgemein germanischen sprichwörtlichen Lehren und Klugheitsregeln den Schein hervorbringen als wenn Odhin, nach welchem das Ganze des Hohen Lied benannt ist, der Sprechende wäre. Da Odhin der Gott des Geistes, die Spruchweisheit des Volkes aber nur der Ausdruck seines Geistes ist, so fehlt dieser Fiction die Berechtigung nicht. Auch das angefügte Runenlied ist dem Gott in den Mund gelegt; bei Loddfafnismal ist dieß eigentlich nicht der Fall, der Sprechende ist Loddfafnir selbst, aber seine Weisheit hat er in des Hohen Halle und an Urdas Brunnen, vermuthlich doch wieder von Odhin selbst, vernommen und mit Berufung darauf theilt er es jetzt vom Rednerstuhle den Zuhörern wörtlich mit, wodurch der Ungleichartigkeit des Inhalts ungeachtet doch eine formelle Gleichartigkeit der drei Bestandtheile des Ganzen entsteht.

Die erste Strophe hat auf das Mythische noch den besondern Bezug, daß diese Klugheitsregel in der Einleitung von Gylfaginning D. 2 dem Gylfi in den Mund gelegt wird ehe er Odhins Halle betritt, was aber wohl nur als eine Anspielung auf unser Lied zu betrachten ist. Diese Strophe gehört schon zu den Gast- und Reiseregeln, die im Anfang bis Str. 34 zusammengestellt sind und sich in Odhins Munde besonders wohl

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/386&oldid=- (Version vom 31.7.2018)