Anonym: Edda | |
|
den andern setzen. Ebenso mögen aber auch beide Verjüngungsquellen einander vertreten, und wir haben an Odhrörir nicht zu denken, sondern nur an Urds Brunnen, da dieser unter der Weltesche liegt, wo wir Str. 6 Idun wiederfinden. Indessen läßt sich aus Odhins Runenlied 3 (Hawamal 141) schließen, daß Urds Brunnen den Namen Odhrörir (Geisterreger) allgemein geführt habe, und nicht bloß in unserer Stelle der kühnen Sprache des Dichters verdanke. Aus seiner Geist erregenden Kraft würde sich dann auch erklären, warum die Götter nach D. 15 an Urds Brunnen ihre Versammlungen halten. Dann ist aber Urd die eigentliche Heldin unseres Liedes, welcher nach Str. 6 der Name Idun nur in der Sprache der Alfen zu gehören scheint, wie ihr der Dichter weiterhin noch andere beilegt.
Diese heilige Quelle hat also ihre verjüngende Kraft entweder schon verloren, oder die Asen besorgen, daß dieses Ereigniss eintreten werde, wie es Str. 6 geschehen ist.
3. Darum (thvi) war Hugin, Odhins Rabe, ausgesandt, darüber den Ausspruch zweier Zwerge zu vernehmen, deren Name bedeutungsvoll klingt. Dain ist mortuus, Thrain nach Myth. 422 contumax oder rancidus. Den Raben kann man nicht umhin, seinem Namen gemäß, auf den göttlichen Gedanken zu deuten; die Zwerge, deren Ausspruch schweren dunkeln Träumen gleicht, scheinen selber nur Träume, aber unheilverkündende, widerwärtige. Ihrer Einkleidung entblößt sagt also die Strophe, die Götter hätten durch Nachdenken über das stockende Wachstum an der Weltesche nichts erreicht als von beunruhigenden Träumen gequält zu werden.
4 und 5 zählen eine Reihe von Erscheinungen auf, die nicht weniger beunruhigend sind als jenes stockende Wachstum, als dessen Folgen sie zugleich betrachtet werden können. Daß den Zwergen die Kräfte schwinden, sagt eben nichts als was wir schon vermuthet haben, daß die Triebkraft der Natur nachgelaßen hat. Zwar könnte darin der Grund angegeben sein, warum Idun die nach Str. 6 zum Geschlechte der Zwerge (D. 61) gehört, die Quelle der Verjüngung nicht zu hüten, zu beschützen, vermochte, vielmehr selbst, wie wir aus eben dieser Strophe erfahren, von der Weltesche herabgesunken ist. Doch thun wir der Einheit des Gedankens willen am Besten, alles von der verlorenen Jungkraft des Brunnens abzuleiten. Die übrigen Erscheinungen, welche sich zum Theil durch die beigeschriebenen, auf Stellen der j. Edda deutenden Zahlen, erläutern, sind vom Herbst hergenommen, mit Ausnahme der letzten, welche eben nur wieder die Rathlosigkeit der Götter ausdrücken soll.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/381&oldid=- (Version vom 31.7.2018)