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Anonym: Edda

Dann würde der Mythus von der Verpfändung des Auges um einen Trunk aus der Quelle zu erlangen, in welcher Weisheit und Verstand verborgen sind, wie D. 15 gesagt ist, zunächst eine Naturerscheinung zu erklären dienen, aber Mimirs Weisheit schon voraussetzen, von der die Edda sonst nichts berichtet, wohl aber die Heimskringla I. 4, wonach die Asen bei dem Friedensschluß mit den Wanen, dessen auch D. 57 gedacht ist, den Mimir, ihren weisesten Mann zugleich mit Hönir, für den sie den Niörd empfingen, zu den Wanen als Geisel sandten, welche den Mimir erschlugen und sein Haupt den Asen zurückschickten. Odhin nahm das Haupt und salbte es mit Kräutern, so daß es nicht faulen konnte, und sang Zauberlieder darüber und bezauberte es so, daß es mit ihm redete und viel verborgene Dinge sagte. Hieraus erklärt sich 47, 4. Mimir ist seinem Namen nach das Gedächtniss; zugleich hat er aber einen Bezug auf das Waßer, den gleichfalls sein Name ausdrückt, da Waßergeister Minnen und Muomel hießen. Im Waßer lag allen Völkern Weisheit, und Waßergeister sind weißagend und wahrsagend. Nehmen wir das im Meer, dem Brunnen Mimirs, gespiegelte Bild der Sonne für den ältesten Sinn des Mythus von Odhins verpfändetem andern Auge, so lag die spätere Umdeutung des Mythus auf den Mond nahe, denn wenn die Sonne das Eine Auge des Himmelsgottes ist, wer würde dann nicht den Mond für das Andere nehmen? Nur so begreift sich, wie Mimir aus dem Pfande des Gottes trinken kann, denn unrichtig wird in Str. 22 Z. 3 Walvaters Pfand für Mimirs Brunnen erklärt, vielmehr ist es nach Str. 31, 4 Heimdals Horn. Nach einer allgemeinen Anschauung bildet die Mondsichel ein Horn und dieß muß Str. 22, 3 als Trinkhorn gedacht sein. Die j. Edda sagt ausdrücklich D. 15 Mimir, der Eigner des Brunnens, trinke täglich von dem Brunnen aus einem Horne. Sie nennt es das Giallarhorn, weil sie dabei an Heimdals Horn Wöl. 47, 3 denkt, das zugleich zum Blasen dient. Dabei gründet sie sich auf Wöl. 31. Der Strom, der hier mit starkem Fall aus Heimdals Horn stürzt, ist nichts als die Kunde von dem Anbruch des jüngsten Tages. Von dieser Kunde, die aus Mimirs Quelle geschöpft ist, heißt es, sie stürze aus Walvaters Pfand, weil der Mond, das andere Auge des Himmels, als Horn (Mondsichel) gedacht, im Brunnen verpfändet war. Dieß Trinkhorn und Heimdals tönendes Horn hat also die kühne Bildersprache des Nordens vertauscht, wozu sie um so mehr berechtigt war, als auch Heimdals Giallarhorn ursprünglich den Mond bedeutet hatte. Als Wächter der Götter gebührte ihm der Sichelmond zum Horn, da es in den Nächten vornämlich seines Hütens bedurfte.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/364&oldid=- (Version vom 31.7.2018)