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Anonym: Edda

Sein Blut ließen sie in zwei Gefäße und einen Keßel rinnen: der Keßel heißt Odhrörir; aber die Gefäße Son und Bodn. Sie mischten Honig in das Blut, woraus ein so kräftiger Meth entstand, daß ein Jeder, der davon trinkt, ein Dichter oder ein Weiser wird. Den Asen berichteten die Zwerge, Kwasir sei in der Fülle seiner Weisheit erstickt, denn Keiner war klug genug, seine Weisheit all zu erfragen.

Darnach luden diese Zwerge den Riesen, der Gilling heißt, mit seinem Weibe zu sich, und baten den Gilling die Zwerge, mit ihnen auf die See zu rudern. Als sie aber eine Strecke vom Land waren, ruderten die Zwerge nach den Klippen und stürzten das Schiff um. Gilling, der nicht schwimmen konnte, ertrank, worauf die Zwerge das Schiff wieder umkehrten und zu Lande ruderten. Sie sagten seinem Weibe von diesem Vorgang: da gehabte sie sich übel und weinte laut. Fialar fragte sie, ob es ihr Gemüth erleichtern möge, wenn sie nach der See hinaussähe, wo er umgekommen sei. Das wollte sie thun. Da sprach er mit seinem Bruder Galar, er solle hinaufsteigen über die Schwelle und wenn sie hinausginge, einen Mühlstein auf ihren Kopf fallen laßen, weil er ihr Gejammer nicht ertragen möge. Und also that er. Als der Riese Suttung, Gillings Brudersohn, dieß erfuhr, zog er hin, ergriff die Zwerge, führte sie auf die See und setzte sie da auf eine Meerklippe. Da baten sie Suttungen, ihr Leben zu schonen, und boten ihm zur Sühne und Vaterbuße den köstlichen Meth, und diese Sühne ward zwischen ihnen geschloßen. Suttung führte den Meth mit sich nach Hause und verbarg ihn auf dem sogenannten Hnitberge; seine Tochter Gunnlöd setzte er zur Hüterin. Davon heißt die Skaldenkunst Kwasirs Blut, oder der Zwerge Trank, auch Odhrörirs-, oder Bodens- und Sons-Naß, und der Zwerge Fährgeld (weil ihnen dieser Meth von der Klippe Erlösung und Heimkehr verschaffte), ferner Suttungs Meth und Hnitbergs Lauge.

58. Da sprach Ögir: Sonderbar dünkt mich der Gebrauch, die Dichtkunst mit diesen Namen zu nennen. Aber wie kamen die Asen an Suttungs[WS 1] Meth? Bragi antwortete: Davon wird erzählt, daß Odhin von Hause zog und an einen Ort kam, wo neun Knechte Heu mähten. Er fragte sie, ob sie ihre Sensen gewetzt haben wollten. Das bejahten sie. Da zog er einen Wetzstein aus dem Gürtel und wetzte. Die Sicheln schienen ihnen jetzt viel beßer zu schneiden: da feilschten sie um den Stein: er aber sprach, wer ihn kaufen wolle, solle geben was billig sei. Sie sagten Alle, das wollten sie; aber Jeder bat, den Stein ihm zu verkaufen. Da warf er ihn hoch in die Luft, und da ihn alle fangen wollten, entzweiten sie sich so, daß sie einander mit den Sicheln die Hälse zerschnitten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Sattungs“
Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/307&oldid=- (Version vom 18.8.2016)