Anonym: Edda | |
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Das sagten sie ihm zu: da ließ er sich vom Baume nieder, setzte sich zum Sude und nahm sogleich die zwei Lenden des Ochsen vorweg nebst beiden Bugen. Da ward Loki zornig, ergriff eine große Stange und stieß sie mit aller Macht dem Adler in den Leib. Der Adler ward scheu von dem Stoße und flog empor: da haftete die Stange in des Adlers Rumpf; aber Lokis Hände an dem andern Ende. Der Adler flog so nah am Boden, daß Loki mit den Füßen Gestein, Wurzeln und Bäume streifte; die Arme aber, meinte er, würden ihm aus den Achseln reißen. Er schrie und bat den Adler flehentlich um Frieden; der aber sagte, Loki solle nimmer loskommen, er schwöre ihm denn, Idun mit ihren Äpfeln aus Asgard zu bringen. Das bewilligte Loki: da ward er los und kam zurück zu seinen Gefährten; und wird für dießmal von dieser Reise ein Mehreres nicht erzählt bis sie heimkamen. Zur verabredeten Zeit aber lockte Loki Idun aus Asgard in einen Wald, indem er vorgab, er habe da Äpfel gefunden, die sie Kleinode dünken würden; auch rieth er ihr, ihre eigenen Äpfel mitzunehmen, um sie mit jenen vergleichen zu können. Da kam der Riese Thiassi in Adlershaut dahin, ergriff Idun und flog mit ihr fort gen Thrymheim, wo sein Heimwesen war. Die Asen aber befanden sich übel bei Iduns Verschwinden, sie wurden schnell grauhaarig und alt. Da hielten sie Versammlung und fragte Einer den Andern, was man zuletzt von Idun wiße. Da war das Letzte, das man von ihr gesehen hatte, daß sie mit Loki aus Asgard gegangen war. Da ward Loki ergriffen und zur Versammlung geführt, auch mit Tod oder Peinigung bedroht. Da erschrak er und versprach, er wolle nach Idun in Jötunheim suchen, wenn Freyja ihm ihr Falkengewand leihen wolle. Als er das erhielt, flog er nordwärts gen Jötunheim und kam eines Tags zu des Riesen Thiassi Behausung. Er war eben auf die See gerudert und Idun allein daheim. Da wandelte sie Loki in Nußgestalt, hielt sie in seinen Klauen und flog was er konnte. Als aber Thiassi heimkam, und Idun vermisste, nahm er sein Adlerhemde und flog Loki nach mit Adlersschnelle. Als aber die Asen den Falken mit der Nuß fliegen sahen und den Adler hinter ihm drein, da gingen sie hinaus unter Asgard und nahmen eine Bürde Hobelspäne mit. Und als der Falke in die Burg flog und sich hinter der Burgmauer niederließ, warfen die Asen alsbald Feuer in die Späne. Der Adler vermochte sich nicht inne zu halten, als er den Falken aus dem Gesicht verlor: also schlug das Feuer ihm ins Gefieder, daß er nicht weiter fliegen konnte. Da waren die Asen bei der Hand und tödteten den Riesen Thiassi innerhalb des Gatters; allbekannt ist dieser Todtschlag.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/305&oldid=- (Version vom 31.7.2018)