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Anonym: Edda

101
Manche schöne Maid,   wers merken will,

Ist dem Freier falsch gesinnt.
Das erkannt ich klar,   als ich das kluge Weib
Verlocken wollte zu Lüsten.
Jegliche Schmach   that die Schlaue mir an
Und wenig ward mir des Weibes.

102
Munter sei der Hausherr   und heiter bei Gästen

Nach geselliger Sitte,
Besonnen und gesprächig:   so schein er verständig,
Und rathe stäts zum Rechten.

103
Der wenig zu sagen weiß   wird ein Erztropf genannt,

Es ist des Albernen Art.



104
Den alten Riesen besucht ich,   nun bin ich zurück:

Mit Schweigen erwarb ich da wenig.
Manch Wort sprach ich   zu meinem Gewinn
In Suttungs Saal.

105
Gunnlöd schenkte mir   auf goldnem Seßel

Einen Trunk des theuern Meths.
Übel vergolten   hab ich gleichwohl
Ihrem heiligen Herzen,
Ihrer glühenden Gunst.

106
Ratamund ließ ich   den Weg mir räumen

Und den Berg durchbohren;
In der Mitte schritt ich   zwischen Riesensteigen
Und hielt mein Haupt der Gefahr hin.

107
Schlauer Verwandlungen   Furcht erwarb ich,

Wenig misslingt dem Listigen.
Denn Odhrörir   ist aufgestiegen
Zur weitbewohnten Erde.

108
Zweifel heg ich   ob ich heim wär gekehrt

Aus der Riesen Reich,
Wenn mir Gunnlöd nicht half,   die herzige Maid,
Die den Arm um mich schlang.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/058&oldid=- (Version vom 31.7.2018)