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Wie sich das deutsche Gemüth in den Volksballaden, in gleicher Weise hat es sich in seinen Gemälden ausgesprochen. Wie es sich von seinem Drange durch ein scheinbar zufällig Aeußerliches befreit, in welchem es mit einem Ausrufe, einer Frage, welche nicht einmal eine Antwort verlangt, hervorbricht, so tritt auch bei Rembrandt gewöhnlich das scheinbar Untergeordnete in das helle Licht, während dahinter im Schatten die darin noch deutlich sichtbare und doch verborgene Hauptgestalt geheimnißvoll zurück und doch tief in unser Gemüth gedrückt wird.

Dieser Mährchen- und Volksliedergeist in Rembrandt tritt uns gleich unverkennbar vor die Seele in seinem schönen Bilde:

Die Rohrdommel.

Wir sehen eine Rohrdommel, welche an den kreuzweis gebundenen Beinen von einer behandschuhten Hand in die Höhe gehalten wird, das Köpfchen des Huhns hängt herunter und das Flügelpaar auseinander. Ein heller Lichtstreif fällt auf den prächtig gemalten Federleib des Huhns und streift dabei die rechte Wange und das Auge ihres Mörders, des Junkers mit dem roth-sammetnen Barette und der Schwungfeder auf dem Haupte, von welchem dunkelblonde lange Locken herunter auf die Schulter fallen. Er ist ein schöner Junker, sein rother Mund zum Küssen.

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Julius Mosen: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1844, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Dresdener_Gem%C3%A4lde-Galerie_(Mosen).pdf/148&oldid=- (Version vom 31.7.2018)