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Deutschlands ändern mußten, sollte das Deutsche Reich sich behaupten an dem Platze in der Sonne, der ihm durch Kaiser Wilhelm I. und seinen großen Kanzler errungen worden war. Heute hat die überwältigende Mehrheit der Nation verstanden, daß Deutschland seinen Fortschritt gerade deshalb auf neuen Wegen suchen mußte, well die alten fast überall zum Ziele geführt hatten.

Es ist noch nicht an der Zeit, ein abschließendes Urteil zu fällen über den jüngsten Abschnitt unserer nationalen Entwicklung. Denn wir stehen noch selbst inmitten dieser Entwicklung, deren letzte Ziele und Möglichkeiten wir noch kaum zu erkennen vermögen. Eins aber steht heute fest: Wir haben wieder große Hoffnungen und Erwartungen, die vorwärts gerichtet sind auf die Vollendung der seit mehr als zwei Jahrzehnten neu beschrittenen Wege. Das ist ein unschätzbarer nationaler Wert, ein Erfolg, der die Arbeit der letzten 25 Friedensjahre doch wohl lohnend macht. Erich Marcks sagte bei der Gedächtnisfeier der Universität Leipzig für den Fürsten Bismarck 1898: „Er hat uns sein Werk vererbt als das Edelste und Teuerste, was wir als Volk heute besitzen. − − − − Immer Neues werden wir von ihm erfahren und immer wandeln wird sich uns und unseren Nachkommen nach menschlicher Art sein Bild; erst eine ferne Zukunft wird ihm und seiner Schöpfung ihre Stelle im großen Zusammenhange der deutschen Geschichte endgültig anweisen. Wird sein Reich das letzte Wort deutscher Staatsbildung sein? Ist er der Vollender oder erst der Beginner der germanischen Größe?“ Hier die deutliche Ahnung, ja Überzeugung: trotz der gewaltigen Erfolge gibt es kein Ausruhen für uns, neue Ziele und neue Wege sind uns gesteckt. Wer ist der Führer?

Wenn wir der Zeit seit dem Tode Kaiser Friedrichs den Namen Kaiser Wilhelms II. geben, so bedeutet das mehr als nur die äußere Benennung eines Zeitabschnittes nach dem Monarchen. Gerade das erste Vierteljahrhundert der Regierung unseres Kaisers straft jene politische Theorie Lügen, die den Einfluß des Herrschers auf den Charakter und die Ziele seiner Zeit nicht mehr anerkennen will. Dieser Einfluß wird gewiß gesichert durch die Summe der Regentenrechte, die die Verfassungen Preußens und Deutschlands dem König und Kaiser zuweisen. Aber unabhängig von allem Staatsrechte werden monarchisch empfindende Völker dem Geist und Willen ihrer Herrscher immer mehr folgen als es ihnen selbst und der Umwelt zum Bewußtsein kommt. Und das um so mehr, wenn der Geist eines Monarchen stark und der Wille fest ist. Das deutsche Volk, dieses am innerlichsten und tiefsten monarchische der Völker Europas ist von 1888–1913 aus dem Volke Kaiser Wilhelms I. geworden zum Volk Kaiser Wilhelms II. In unserm Kaiser drückt sich der Geist der neuen Zeit aus und in unserer Zeit der Geist unseres Kaisers. Wie schroff auch immer die Gegensätze in der Nation sein mögen, wie hart in Parlament und öffentlicher Meinung auch die Ansichten aufeinanderstoßen, die Tatsache steht fest, daß der Kaiser und die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes eins geworden sind in den nationalen Zielen. Und auf vielen und vielleicht den wichtigsten Gebieten war es der Kaiser, der die Nation seinen Überzeugungen gewonnen, an seine Ideen glauben gelehrt hat. Gerade die Ereignisse von epochaler Bedeutung: die Wendung von der reinen Kontinentalpolitik zur Weltpolitik und im unmittelbaren Zusammenhange

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/569&oldid=- (Version vom 14.2.2021)