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das Stellen selbst meist noch von Hand geschieht und bisher nur in wenigen Fällen unter Zuhilfenahme stärkerer elektrischer Ströme unter Einschaltung kleiner Elektromotoren an jeder Arbeitsstelle bewirkt wird.

Elektrische Kraft im Eisenbahnwesen.

Die ausgedehnteste Verwendung elektrischer Kraft im Eisenbahnwesen aber brachte das letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts durch die Einführung der Elektrizität als Triebkraft. Anschließend an die erste Vorführung einer elektrisch betriebenen Eisenbahn durch Werner von Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung im Jahre 1879 hat sich der Elektromotor unbestritten das Gebiet der städtischen Straßenbahnen ebenso wie das der städtischen Schnellbahnen erobert, s. Abschnitt VI Städtebau. Von 1895 bis 1910 ist in Deutschland die Gesamtlänge der elektrischen Straßenbahnen von 406 auf 4180 km, das in ihnen angelegte Kapital von 100 Millionen auf 1 Milliarde Mark gestiegen, Länge und Anlagekapital haben sich also verzehnfacht. Eine ebensolche Entwicklung wird das Verwendungsgebiet der elektrischen Triebkraft zweifellos im Stadt- und Vorortverkehr der Hauptbahnen erfahren, der sich aus einem in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch wenig beachteten und wenig gewürdigten Anhängsel des Fernverkehrs rasch zu einem in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung wesentlichen Faktor ausgewachsen hat, um dem Bedürfnis der großen Städte nach ferner liegenden gesunden und billigen Wohnvierteln genügen zu können. So werden z. B. von allen Personenfahrten Sachsens 20% allein im Dresdner Vorortverkehr, von allen Personenfahrten der Preußisch-Hessischen Eisenbahngemeinschaft sogar 30% lediglich im Berliner Stadt-, Ring- und Vorortverkehr zurückgelegt. Hier wie auch im Betrieb der städtischen Hoch- und Untergrundbahnen kommt es vor allem darauf an, die Zugfolge zu verdichten und die Reisegeschwindigkeit – diese namentlich durch möglichst schnelles Anfahren und Anhalten – zu erhöhen. In beiden Richtungen vermag der Betrieb mit Dampflokomotiven eine gewisse Grenze nicht zu überschreiten, die an vielen Stellen zwar noch nicht erreicht ist, der man sich aber an einzelnen, z. B. an der Berliner Stadt-, Ring- und Vorortbahn, so bedenklich genähert hat, daß hier die Einführung elektrischer Triebkraft unmittelbar bevorsteht, nachdem die Versuche, die mehrfach an einzelnen Vorortstrecken angestellt worden sind, an der technischen Durchführbarkeit keinen Zweifel gelassen haben. Ebenso sicher ist es, wie die Versuchsbetriebe der Preußischen Staatsbahn bei Bitterfeld ergeben haben, daß die elektrische Triebkraft im Fernbetrieb der Vollbahnen auf technische Bedenken und Hindernisse nicht stoßen würde, daß vielmehr die Frage dieser Einführung zurzeit kaum noch eine technische, sondern lediglich eine solche wirtschaftlicher, vielleicht auch militärischer Natur ist. Zur unerläßlichen Vorbedingung aber wird die Verwendung elektrischer Triebkraft dann, wenn im Fernpersonenverkehr Geschwindigkeiten erreicht werden sollen, die über das von der Dampflokomotive erreichbare, aus wirtschaftlichen Gründen zurzeit bei etwa 120–130 km/Stunde liegende Maß hinausgehen, wenn Fern-Schnellbahnen zur Ausführung gelangen, mit der bei den Studienfahrten auf der Strecke Marienfelde-Zossen im Herbst 1903 erreichten Höchstgeschwindigkeit von 210 km/Stunde. Der elektrische Betrieb wird seinem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/365&oldid=- (Version vom 20.8.2021)