Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/301

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Frauenvereins geschaffen werden konnten. Auch einzelne Privatpersonen haben sich große Verdienste in dieser Richtung erworben.

Im allgemeinen bedürfen aber diese Einrichtungen eines weiteren Ausbaues und einer Ausdehnung auf das ganze Reich.

Säuglingsschutz.

Ein Teil der Bestrebungen zum Mutterschutz dient naturgemäß gleichzeitig dem Schutz der Neugeborenen. Ein derartiger Schutz ist nicht nur aus humanitären Gründen geboten, sondern mit Rücksicht auf die auch in Deutschland abnehmende Zahl der jährlichen Geburten ein volkswirtschaftliches Erfordernis.

Ist doch vom Jahre 1881 bis zum Jahre 1910 eine Minderung der Geburten von 46,9 zu Tausend auf 32,6 zu verzeichnen.

Die ersten Bestrebungen zum Säuglingsschutz bestanden in Beratungsstellen für Kinderfürsorge (Taube in Leipzig, Budin in Paris). In Deutschland wurden außer den Ärzten von der ersten Einrichtung der Fürsorgestellen an auch Fürsorgeschwestern zur Mitwirkung herangezogen, welche durch Hausbesuche die Mütter und Pflegemütter zu unterstützen in der Lage sind. Die erste Aufgabe gegenüber dem Neugeborenen besteht naturgemäß darin, die Mütter zum Stillen der Kinder zu veranlassen. Das ist nicht immer ganz leicht, da auf der einen Seite Abneigung der Mütter gegen das Stillen, auf der anderen Frauenarbeit und Beruf vielfach ein Hindernis für die natürlichen Mutterpflichten sind. Um diese wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen, werden vielfach Stillprämien in verschiedener Form gewährt. Manche Städte wie Berlin verausgaben als Stillprämien beträchtliche Summen (150 600 M. im Jahre 1909). Andere Orte gewähren Prämien in Form von Naturalien (1 Liter Milch pro Tag). Auch Mutterschaftskassen wurden zu diesem Zweck gegründet.

Eine weitere Aufgabe besteht darin, Säuglingen, bei welchen die mütterliche Ernährung unmöglich ist, einwandfreie Milch in der dem Alter entsprechenden Form zu verabreichen. Die Zahl dieser Milchküchen ist ganz außerordentlich groß. In Verbindung mit diesen Milchküchen sind vielfach auch Säuglingsheime entstanden. In Preußen wurde auf Anregung Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin im Jahre 1905 eine Zentrale zum Säuglingsschutz ins Leben gerufen, aus welcher der Plan erwuchs, eine physiologische Forschungsanstalt für Säuglingsernährung mit klinischer Behandlung zu schaffen. Die Grundlage hierfür wurde durch eine Spende der Majestäten von 25 000 M. und durch Stiftung eines geeigneten Grundstücks seitens der Stadt Charlottenburg gelegt. Auch vonseiten der Volksvertretung sind Mittel zu diesem Zweck bewilligt worden.

Heute kann das Kaiserin Augusta Viktoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich als eine Musteranstalt bezeichnet werden.

Zweifellos wird die neue Anstalt zur Nachahmung Veranlassung geben. Gewiß brauchen wir, wie Ministerialdirektor Kirchner mit Recht betont hat, keiner allzupessimistischen Auffassung bezüglich des Geburtenrückgangs uns hinzugeben, da es vielfach besser ist, wenn eine Familie eine kleiner Anzahl gesunder Kinder großzieht, als sich um eine größere Zahl früh absterbender bemüht. Aber große Berücksichtigung darf der Geburtenrückgang

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/301&oldid=- (Version vom 20.8.2021)