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jedoch Kneser (1900) sein Lehrbuch der Variationsrechnung abgefaßt. Eine Vereinigung von Lehrbuch und Enzyklopädie stellen die ebenfalls die neueren Ansprüche befriedigenden „Lectures on the calcules of variations“ von Bolza dar, die 1909 in deutscher Bearbeitung erschienen sind. Wenig berührt von den neuen Gedanken ist die Variationsrechnung von Pascal geblieben (deutsch 1899). Von den nicht der jungen Schule angehörigen Mathematikern haben A. Mayer und G. v. Escherich wertvolle Beiträge zur Variationsrechnung geliefert. Hilbert ging in seinem Artikel „Über das Dirichletsche Prinzip“ auf den Zusammenhang der Variationsrechnung mit diesem viel behandelten, bestrittenen, aber doch so fruchtbaren Prinzip ein. Er beabsichtigte, an dem klassischen Beispiele der Frage nach der Existenz überall endlicher Integrale auf einer Riemannschen Fläche, die Riemann durch das Dirichletsche Prinzip zu beweisen versucht hat, darzulegen, „wie die modernen Hilfsmittel der Analysis und insbesondere die Variationsrechnung imstande sind, den der geometrischen und physikalischen Anschauung entnommenen Grundgedanken des Dirichletschen Prinzips in genauem Anschluß an die anschauliche Bedeutung desselben derart zu verfolgen, daß aus demselben ein streng mathematischer Beweis für die Existenz der Minimalfunktion entsteht.“

Differentialgleichungen. L. Fuchs.

Die hier angedeuteten Gedanken, welche Grundprobleme der Theorie der Differentialgleichungen betreffen, haben zahlreichen jüngeren Mathematikern Anlaß zu scharfsinnigen Untersuchungen gegeben, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Es genüge die Bemerkung, daß die Theorie der linearen Differentialgleichungen, welche in L. Fuchs einen hervorragenden Vertreter hatte, seit seinem Tode trotz der verschiedenen zusammenfassenden Lehrbücher nicht mehr die gleiche allgemeine und liebevolle Pflege fand. Sein bedeutender gleichstrebender Mitarbeiter auf diesem Gebiete L. W. Thomé folgte ihm 1910 ins Grab. Sein Schwiegersohn L. Schlesinger und sein Schüler J. Horn sind die freudigsten Arbeiter auf dem von ihm zuerst beackerten Felde der linearen Differentialgleichungen. Die Theorie der partiellen Differentialgleichungen, besonders ihre physikalischen Anwendungen mit Randwertaufgaben, erfreut sich dagegen einer großen Zahl erfolgreicher begabter Bearbeiter, und auch die Differenzengleichungen, werden neuerdings nicht mehr so sehr vernachlässigt, wie dies lange geschah.

Integralgleichungen. Hilbert.

Von den Differentialgleichungen hat sich dagegen das lebhafteste Interesse den Integralgleichungen zugewendet, deren Ausbau seit der grundlegenden Abhandlung von Fredholm (1903), dank dem entscheidenden Eingreifen von D. Hilbert, gegenwärtig die besten jungen Kräfte in Anspruch nimmt. Mit weitschauendem Blick erkannte Hilbert die Wichtigkeit des Gegenstandes und sprach seine treibenden Ideen gleich in der ersten Mitteilung der „Grundzüge einer allgemeinen Theorie der linearen Integralgleichungen“ aus (1904). Wir teilen die folgende charakteristische Stelle aus der Einleitung mit.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/100&oldid=- (Version vom 20.8.2021)