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Hüttenwesen.

Koksdarstellung.

Der wichtigste Fortschritt auf diesem Gebiete ist die Einführung der Nebenproduktengewinnung, welche zuerst hauptsächlich in Frankreich versucht wurde. In Deutschland sowie in England brachte man dieser Neuerung jedoch Bedenken entgegen, weil man annahm, daß, nachdem die brennbaren Bestandteile, Teer und Benzol, aus den Gasen entfernt sind, die Abhitze der Koksöfen nicht mehr zur Dampfgewinnung ausreicht. Außerdem glaubte man, daß der im Flammofen gewonnene Koks sich für den Hochofenbetrieb besser eigne, als das im Destillationsofen hergestellte Material. Die ersten Destillationsöfen in Brackwede im Jahre 1880 nach dem System Carvès aufgestellt, ergaben indessen gute Resultate. In Gottesberg in Schlesien erbaute 1883 Gustav Hoffmann einen Regenerationsofen mit Nebenproduktengewinnung, dessen System der um die Entwicklung der Koksindustrie sehr verdiente Dr. Otto in Dahlhausen mit seinem bisherigen Ofensystem vereinigte, woraus der Hoffmann-Otto-Ofen entstand, der in der Folgezeit in Deutschland als Destillationsofen große Verbreitung fand. Diese Erfolge der Destillationsöfen brachten das Vorurteil allmählich zum Verschwinden, und bereits im Jahre 1889 waren in Deutschland 605 Hoffmann-Otto-Öfen im Betrieb. Die Zahl dieser Öfen belief sich 3 Jahre später auf 1205, und 1895 wurden 54% des gesamten Koks in Deutschland in Destillationsöfen hergestellt. Durch die Öfen von Semet-Solvay, Collin, Brunck und anderen wurde im Laufe der folgenden Jahre der Beweis erbracht, daß der Koksofenbetrieb mit Gewinnung der Nebenprodukte ohne Anwendung von Regeneratoren zur Vorwärmung der Verbrennungsluft anstandslos durchführbar ist. Dies veranlaßte Dr. Otto, im Jahre 1895 einen Unterbrennerofen einzuführen, der sich ebenfalls einer außerordentlich großen Verbreitung in Deutschland erfreute, so daß im Jahre 1909 rund 9204 Unterbrenneröfen sich im Betrieb befanden. Im Jahre 1902 erhielt H. Koppers in Essen ein Patent auf einen liegenden Koksofen mit getrennter Zufuhr von Gas und Verbrennungsluft und ohne Zugumkehr im Ofen. Dieser Ofen, der im Laufe der Jahre wesentliche Verbesserungen erfuhr, bedeutet einen weiteren Fortschritt auf dem Gebiete des Koksofenbaues. Es waren 1910 in Deutschland 750 Koppers-Öfen im Betrieb und 105 im Bau. Otto wiederum verbesserte seinen Unterbrennerofen durch Einführung des Regenerativprinzips zur Vorwärmung der Verbrennungsluft, das auch Collin und Koppers bei ihren Ofensystemen zur Anwendung brachten. Sie verzichten hierbei auf die Verwertung der Abhitze zur Dampferzeugung, erzielen jedoch eine große Menge überschüssiges zu anderen Verwendungen disponibles Gas. Ein neuerdings beschrittener Weg ist der des kombinierten Ofensystems von Flammöfen und Destillationsöfen, die Verwendung der Abhitze gestatten und gleichzeitig Überschußgas ergeben.

Von den Nebenprodukten wurden bis zum Jahre 1889 nur der Teer und das Ammoniak gewonnen. Die erste Einrichtung zur Gewinnung des Benzols führte F. Brunck in Dortmund an Semet-Solvay-Öfen aus, und es sind allmählich die meisten Destillationsöfen mit Vorrichtungen zur Gewinnung des Benzols eingerichtet worden. Das Ammoniak wurde bis zum Jahre 1903 ausschließlich durch Wasserwaschung gewonnen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/87&oldid=- (Version vom 20.8.2021)