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durch Klaubarbeit die Berge aus der Kohle herauszulesen und diese durch Absieben nach verschiedenen Korngrößen zu sortieren. Der mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes sich ausdehnende Versand der Kohle nach entfernteren Gegenden und die sich steigernden Wünsche der Abnehmer nach aschearmen Kohlen für Kesselfeuerung und Hausbrand, sowie der wachsende Bedarf der Eisenindustrie nach einem Koks von geringem Aschengehalte zwang bald zu einer gründlichen Aufbereitung der Kohle, die viel einfacher und leichter durchzuführen ist als die Erzaufbereitung. Denn bei letzterer müssen oft drei oder noch mehr Erzarten voneinander und von den Bergen getrennt werden, während es sich bei der Kohlenaufbereitung nur um das Trennen der Kohle von den Bergen und um ein Sortieren nach Korngrößen, dem sogenannten Klassieren, handelt. Die Hauptarbeit fällt hierbei den Setzmaschinen zu, die eine ähnliche Entwicklung und ähnliche Fortschritte wie die Erzsetzmaschinen zeigen.

Die bedeutendste Neuerung dürfte auf dem Gebiete der Kohlenaufbereitung wohl das Baumsche Prinzip: „Erst waschen, dann klassieren“ sein, nach dem im Gegensatz zu den früheren Aufbereitungsanlagen das Sortieren der Kohle nach den Korngrößen erst nach erfolgter Setzarbeit geschieht. In Anbetracht des höheren Wertes, den ein stärkeres Korn hat, wird jede Zerkleinerung der Kohle nach Möglichkeit vermieden und infolgedessen auch das vollständig unnötige Zerkleinern der Berge und ihr mehr oder weniger starkes Auflösen in den Waschwässern, deren Klärung und Reinigung bei den Baumschen Aufbereitungen sehr erleichtert wird. Neuerdings verbindet man auch das alte Prinzip: „Erst klassieren, dann waschen“, mit dem Baumschen; so nimmt z. B. die Maschinenbauanstalt Humboldt erst ein beschränktes Klassieren, dann ein Waschen und schließlich das endgültige Klassieren vor.

Besondere Schwierigkeiten verursacht der Kohlenstaub und die Feinkohle, die in den Abgängen der Aufbereitung in bedeutenden Mengen enthalten sind, die Waschwässer stark verunreinigt und zum großen Teil verloren geht. Um den Kohlenstaub und die Feinkohle nutzbar zu machen, baute man in den letzten Jahrzehnten sogenannte Nachwäschen, die dazu dienen, die an den Bergen haftenden oder von ihnen eingeschlossenen Kohleteilchen so vollkommen wie möglich zu gewinnen, den Aschengehalt der gewaschenen Erzeugnisse möglichst herabzumindern und ferner die in den Abwässern enthaltenen Feinkohlen nicht verloren gehen zu lassen. Durch die Feinkohlenwäschen gelingt es, den Aschengehalt der Feinkohle auf 6,5% und weniger herabzudrücken und so diese als Kokskohle zu verwenden, während man früher häufig gezwungen war, bei Mangel an aschenarmen Feinkohlen die Kokskohle durch Brechen hochwertiger Stückkohle herzustellen. Die durch die Nachwäsche erhaltenen Berge sind fast frei von Schwefelkies und Kohle, so daß man sie zu Zwecken des Bergeversatzes in die Grube zurückschaffen kann, ohne Grubenbrand befürchten zu müssen. Auch zu den lästigen Haldenbränden können derartig gereinigte Waschberge keine Veranlassung mehr geben.

Durch den Verkauf oder die sonstige Verwertung der in solchen Nachwäschen gewonnenen Feinkohle, die ohne Nachwäsche fast vollständig verloren gehen würden, haben westfälische Kohlenzechen bereits Reingewinne von 70 000 bis 300 000 Mark im Jahre erzielt.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/85&oldid=- (Version vom 20.8.2021)