Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/688

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

unzweckmäßig ist, hat in einigen deutschen Staaten, so in Baden und Sachsen, dazu geführt, der Volksschule Klassen und Abteilungen mit erweiterten Unterrichtszielen anzugliedern. In den meisten dieser Staaten sind solche Einrichtungen gesetzlich vorgesehen. In Preußen ist das nicht der Fall. Nichtsdestoweniger haben sich aber auch hier solche Klassen und Abteilungen in kleineren Städten, die selbständige Mittelschulen zu errichten finanziell außerstande waren, gebildet. Die scharfe Ausbildung des Begriffes „Volksschule“, welche die den Volksschulen zugewandten Staatswohltaten, also namentlich die Staatsbeiträge zum Lehrergehalt und den Anschluß an die Alterszulagen- und Ruhegehaltskassen mit den Staatsbeiträgen nur den unter den gesetzlichen Begriff „Volksschule“ fallenden Schuleinrichtungen erhalten wollte, bedrohte den Bestand der gehobenen Abteilungen. Auf gesetzlichem Wege war nicht zu helfen, ja der Zedlitzsche Gesetzentwurf hatte sich sogar im Gegensatz zum Goßlerschen, diesen Gebilden unfreundlich gegenübergestellt. Da bestimmte die Staatsregierung 1903, der Not des Mittelstandes Rechnung tragend, indem sie sich über die fehlende Gesetzesbestimmung hinwegsetzte, daß diese gehobenen Abteilungen rechtlich als Teile einer öffentlichen Volksschule behandelt werden durften, sofern sie nur ihrer wesentlichen Einrichtung nach als Volksschulen angesehen werden konnten. Damit waren die preußischen gehobenen Volksschulabteilungen gerettet.

Mittelschulen.

Aber diese Schuleinrichtungen sind doch mehr Notbehelfe für kleinere Orte. Der Bürgerstand der größeren Orte bedarf besonderer Schulen. In Preußen haben durch die allgemeinen Bestimmungen vom 15. Oktober 1872 Schulen dieser Art einen bestimmten Lehrplan und den Namen Mittelschulen erhalten, während man in Süddeutschland unter Mittelschule die auf die Hochschule vorbereitende höhere Schule versteht. In Preußen ist 1894 der die Mittelschulen umfassende Begriff: „mittlere Schule“ festgelegt worden; es sind Unterrichtsanstalten, die allgemeinen Bildungszwecken dienen und weder zu den höheren Schulen, noch zu den öffentlichen Volksschulen, noch zu den Fach- und Fortbildungsschulen gehören. Die Mittelschulen sind in Preußen lange nicht gediehen, vor allem, weil die Staatsregierung ihre Kraft und ihre Mittel dem Volks- und dem höheren Schulwesen zuwandte. Neuerdings ist es anders geworden, nachdem die größeren Städte mit dem Ausbau höherstufiger Mittelschulen vorangegangen waren. Einen kräftigen Anstoß hat diese Bewegung erfahren durch die staatliche Neuordnung des Mittelschulwesens von 1910, welche den neunstufigen Typus als den normalen hinstellte und ihm einen neuen Lehrplan mit erweiterten, modernen Anforderungen entsprechenden Lehrzielen gab. Die Bedeutung des neunten Schuljahrs kann für die geistige Ausbildung und die sittliche Kräftigung der Schüler nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es kommt hinzu, daß kleinere Klassenfrequenzen und die der Schularbeit günstigeren häuslichen Verhältnisse die Wirkung der verlängerten Schulzeit unterstützen werden. Die Hauptsache ist, daß ein gründlicher durchgebildetes Lehrpersonal den Unterricht an diesen Schulen in der Hand haben soll. Die Trefflichkeit des Lehrplans und des Lehrpersonals sollten allein genügen, um das Ansehen der Mittelschulen im Handel- und Gewerbestand zu steigern. Leider aber spielt hier auch die Berechtigungsfrage hinein. Die Überschätzung des Wertes des Einjährig-Freiwilligenzeugnisses läßt es auch den

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/688&oldid=- (Version vom 31.7.2018)