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Damit schließen wir die Darstellung von der Entwicklung der preußischen Volksschule in den letzten 25 Jahren und werfen noch einen Blick auf die wichtigsten Ereignisse aus der gleichzeitigen Volksschulgeschichte der übrigen deutschen Staaten.

Bayern.

In Bayern lagen die Verhältnisse vor 25 Jahren ähnlich wie in Preußen. Ein umfassendes Volksschulgesetz fehlte; es fehlt auch heute noch. Der Versuch, ein solches Gesetz zu schaffen, ist 1867 an den kirchenpolitischen Schwierigkeiten gescheitert. Ebenso wie in Preußen erschien es aber unerläßlich, die Schulunterhaltungspflicht und das Lehrerbesoldungswesen nach modernen Grundsätzen zu regeln. Das ist geschehen durch das Schulbedarfsgesetz von 1902. Bei dem in Bayern geschichtlich hergebrachten und bewährten Grundsatz, daß die Volksschulunterhaltung in erster Linie der politischen Gemeinde obliegt, ist es verblieben. Aber die Verpflichtungen der Kreise und des Staates zur Bestreitung des Bedarfs der öffentlichen Volksschulen sind verstärkt worden in der Richtung, daß dem weniger leistungsfähigen flachen Lande der größte Teil der Zuschüsse des Staates und der Kreise zugute kommt, während die steuerkräftigeren Städte zur Deckung des betreffenden Staats- und Kreisaufwandes nach ihrem Steuersoll gleichmäßig beizutragen haben. Die Verpflichtung des Staates zur Leistung von Dienstalterszulagen an das Lehrpersonal der Gemeinden unter 10 000 Einwohnern ist gesetzlich festgelegt. Eine Erleichterung der Gemeinden von einer mitunter empfindlichen Last bringt die Überweisung der Kosten für Unterrichtsaushilfen bei Erkrankung, Beurlaubung oder sonstiger Verhinderung des Schulstelleninhabers auf den Kreis – hier wie in Preußen ist die Richtung der Gesetzgebung, die Last auf breitere Schultern zu legen. Der konfessionellen Minderheit ist gesetzlicher Schutz gewährt; die Einrichtung einer Sonderschule für sie kann unter bestimmten Bedingungen herbeigeführt werden. Für die Volksschullehrer sind gesetzliche Mindestgehälter vorgeschrieben. Das Gesetz führt den Zwang zur Errichtung von Ortsstatuten über die Lehrergehälter für eine bestimmte Gruppe von Gemeinden ein und sichert damit einem größeren Kreise von Lehrpersonen die Vorteile der ortsstatutarischen Regelung. Die Reorganisation der Fürsorge für das dienstunfähige Lehrpersonal und für Lehrerhinterbliebene, welch letztere bis dahin der gesetzlichen Grundlage entbehrten, bedeutet einen wesentlichen Fortschritt. Die Trennung des niederen Kirchendienstes vom Schuldienste ist in geeigneten Fällen wenigstens angebahnt. Im Jahre 1909 trat eine Erhöhung der Dienstalterszulagen ein. Eine Reihe bayerischer Städte, an der Spitze München, zahlen besonders hohe Lehrergehälter. Auf dem inneren Schulgebiete geht Bayern, das bisher nur 7jährige Werktagsschulpflicht besitzt, mehr und mehr zur 8jährigen über.

In keinem anderen deutschen Staate ist im letzten Vierteljahrhundert an der Förderung des Volksschulwesens energischer gearbeitet worden, als in Württemberg. Eine Schulnovelle folgte der andern, um das Volksschulgesetz von 1836 den Anforderungen der Zeit entsprechend umzugestalten, bis es im Jahre 1909 unter durchgreifenden Änderungen zu einer vollständigen Neuredaktion kam. Das neue Gesetz hat mit Recht in der politischen und der pädagogischen Presse viel Anerkennung erfahren. Charakteristisch ist, daß das gesamte Volksschulwesen bis in die Oberschulbehörden hinein konfessionell eingerichtet

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/685&oldid=- (Version vom 31.7.2018)