Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/674

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Turnen.

Das Turnen und die Körperpflege der Volksschuljugend haben in dem letzten Jahrzehnt die sorgfältigste Pflege erfahren. Die Methodik des Turnunterrichts ist wesentlich gebessert worden. Neuerdings ist ein verheißungsvoller Anfang mit der Einführung des Mädchenturnens gemacht worden. Auch die Mädchen der einfachsten Dorfschule nehmen mit Begeisterung am Turnunterricht teil. Die Schule sucht darauf hinzuwirken, daß die Mädchen Turnkleidung (Turnhose) tragen. In nordischen Ländern soll es bereits erreicht sein, daß die Mädchen beim Turnen den Rock abzulegen verpflichtet sind. Vor etwa einem Jahrzehnt bereits ist bei uns die etwas gewagte Verfügung getroffen worden, daß kein Schulmädchen beim Turnen ein Korsett tragen darf. Eine lebhafte Bewegung ist entstanden, um den obligatorischen Spielnachmittag einzuführen. Bis jetzt hat ihr der Minister zum Schutze des Familienlebens, das neben dem Schulzwange doch auch seine Rechte hat, noch Widerstand geleistet.

Schulzeit.

Die Schulzeiten sind vom hygienischen Gesichtspunkt aus in sorgfältigste Beobachtung genommen worden. Es sind Pausen eingerichtet zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden. Bei großer Hitze muß der Unterricht ausgesetzt werden. Den letzten beiden Jahrzehnten gehören auch die Bestrebungen nach Zusammenlegung des Unterrichts auf den Vormittag an, die freilich sehr verschiedener Beurteilung unterliegen, auch nicht ausschließlich auf hygienische Beweggründe zurückzuführen sind. Die meisten städtischen Schulvorstände haben sich gegen den ungeteilten Unterricht in den Volksschulen ablehnend verhalten wegen der großen sittlichen Gefahren, denen die Kinder weiter Kreise, die mit dem freien Nachmittag nichts rechtes anzufangen wissen würden, unterliegen würden. Auf dem Lande ist es anders, wo die Eltern die Kinder gern zu landwirtschaftlichen Arbeiten am Nachmittag heranziehen würden, und die Schulbehörden oft einen schweren Stand haben, um die Kinder vor allzu harter, sie früh aufreibender Arbeit und Ausbeutung zu schützen.

Ansteckende Krankheiten.

Die Bekämpfung der Verbreitung ansteckender Krankheit hat zwar schon einige Jahre vor dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. begonnen. Sie ist aber unter ihm energisch fortgesetzt worden und hat bedeutende Erfolge zu verzeichnen, was sich namentlich in der Zurückdrängung der Tuberkulose und der Verminderung der Sterblichkeit der Bevölkerung zeigt. Als der erste Erlaß über die Aufstellung von Spucknäpfen in den Schulen erschien, da hat er vielfach, auch bei sonst einsichtigen Schulmännern ungläubige Ablehnung erfahren. Heute hat sich die Anschauung durchgesetzt, daß das Volk hinsichtlich des Spuckens erzogen werden muß. Die Eisenbahnverwaltung hat hierbei auch ihr Verdienst. Ist es auch nicht möglich, jedem Kinde einen Spucknapf in erreichbare Nähe hinzusetzen, so geht es doch sehr wohl an und es geschieht, daß die Kinder angehalten werden, nicht auf den Boden zu spucken. Die Regierungen haben die Lehrer auf ihre Seite gebracht; diese wissen heute, wieviel für ihre eigene Gesundheit von der Erziehung zur Reinlichkeit abhängt. Die Anweisung zur Verhütung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten von 1884 hat 1907 eine Neubearbeitung erfahren. Das Verfahren des Ausschlusses

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/674&oldid=- (Version vom 31.7.2018)