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Ausbreitung. Andererseits erschien auch in Deutschland selbst die Seeschiffahrt dazu ausersehen, durch zum Teil hohe Abgaben auf den Flüssen einzelnen deutschen Seestaaten die Kassen zu füllen. Die englische Navigationsakte bewirkte eine völlige Knebelung der deutschen Seeschiffahrt im Verkehr mit England und den britischen Kolonien. Dazu kamen Hollands 10proz. Zuschlagszoll von Waren in hanseatischen Schiffen, der seit dem 13. Jahrhundert vom Verkehr zwischen der Nordsee und Ostsee erhobene und erst 1857 auf Veranlassung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen eine Entschädigung von etwa 30½ Millionen dänischen Reichstalern von Dänemark abgelöste Sundzoll, sowie die auf der Weser und Elbe von Oldenburg und Hannover erhobenen Flußzölle, von denen der bis zum 7. Mai 1820 auf der Weser erhobene „Elsflether Zoll“ und der unter der Bezeichnung „Stader Zoll“ bis 1861 auf der Elbe erhobene die bekanntesten und wichtigsten waren. Diese Flußzölle schadeten dem Handel Bremens und Hamburgs um so mehr, als dieselben Hindernisse auf dem Rhein seit dem Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 und ferner durch einen zwischen Preußen und Holland am 3. Juni 1837 abgeschlossenen Reziprozitätsvertrag beseitigt waren, so daß von da an die Versorgung der Rheinlande über Holland ungehindert erfolgen konnte.

Einflüsse auf die deutsche Seeschiffahrt.

Ganz allmählich gelangte die deutsche Schiffahrt in freiere Bahnen. Die englische Navigationsakte erhielt sich noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. England konnte sich um diese Zeit zu ihrer vollständigen Aufhebung im Jahre 1849 bzw. 1854 um so eher verstehen, als es längst seine Stellung im Welthandel befestigt hatte. Für die deutschen Flüsse leitete der Wiener Kongreß die Freiheit des Verkehrs ein, und nun vollzog sich in der Weltwirtschaft und im Weltverkehr allmählich ein Umschwung, wie er bedeutungsvoller kaum zu denken war. Es ergab sich vor allem, daß durch die aufkommende Herrschaft der Dampfschiffahrt die Segelschiffahrt mehr und mehr zurückging, und daß sich auch eine wesentliche Verschiebung des gesamten Schiffsverkehrs von der Ostsee nach der Nordsee vollzog. Die Ostseereederei bildete zu Anfang des 19. Jahrhunderts den eigentlichen Kern des gesamten deutschen Reedereigewerbes; sie verfügte an den heutigen deutschen Ostseeküsten über einen Schiffsraumgehalt, der um mehr als das Doppelte den der Nordseereederei übertraf. An der Nordsee gewannen Bremen und Hamburg, von wo aus bereits in den 40er Jahren und früher ernste Bestrebungen für die Einrichtung regelmäßiger Dampfschiffslinien nach Nordamerika sich geltend gemacht hatten, bald unbestritten die Führung. Mit der Zunahme der deutschen Auswanderung am Anfang der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts hatten sich die Beziehungen der Hansestädte zu den Vereinigten Staaten wesentlich erweitert, und namentlich die Schiffahrt Bremens wurde dadurch stark beeinflußt. Indem sich diese Millionen Europamüder in Bewegung setzten und über die deutschen Hansestädte die Wanderung über den Ozean antraten, verschafften sie der Reederei Bremens und Hamburgs Kapitalien, um erst Segelschiffe, dann Dampfer von stetig wachsenden Werten zu erbauen. Zugleich gaben sie den heimkehrenden Schiffen Gelegenheit, überseeische Waren, namentlich amerikanische, zu verhältnismäßig niedriger Fracht zurückzubringen. Reederei und Handel

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 957. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/520&oldid=- (Version vom 20.8.2021)