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und sonstigen allgemeinen Unkosten sich entsprechend verringerte. Die Vermehrung der Fahrten wurden ihrerseits durch Erhöhung der Geschwindigkeit, durch Abkürzung der Hafenaufenthalte, durch bessere Ausrüstung der Lösch- und Ladestellen mit vollkommeneren, Zeit und Arbeit sparenden Maschinen und nicht zum wenigsten auch durch Verbesserungen in der geschäftlichen Organisation der Reedereibetriebe herbeigeführt – Verbesserungen, welche den Reedereien und Hafenverwaltungen schon durch den ständig zunehmenden Wettbewerb aufgenötigt wurden. Derselbe Wettbewerb hat auch dafür gesorgt, daß die sinkende Bewegung der Selbstkosten, die aus den hier angedeuteten Ursachen sich ergeben hat, in einer parallelen Bewegung der Frachten, also in einer entsprechenden Entlastung der Erzeuger und Verbraucher im Einflußbereiche von Wasserstraßen, zum Ausdruck gekommen ist.

Dieser durch Verbesserung der Wasserstraßen ermöglichte und durch die Schiffahrt verwirklichte Rückgang der Frachten ist wesentlich stärker gewesen als das gleichzeitige Sinken der Eisenbahntarife, wie nicht nur aus Vergleichungen der Frachtsätze im einzelnen, sondern auch aus der allgemeinen Wahrnehmung sich ergibt, daß der relative Anteil der Binnenschiffahrt an der Güterbewegung im deutschen Wirtschaftsgebiet auf Kosten der Eisenbahn gestiegen ist. Denn wie das Wasser sich auf der Erdoberfläche stets in der Richtung des stärkeren Gefälles bewegt, so bewegt sich der Güterstrom immer nach der Linie der billigeren Frachten.

Mit diesem Bilde steht auch die quantitative Entwickelung der deutschen Binnenflotte im Einklange. Die Schiffszahl und der Tonnengehalt ist für Fahrzeuge ohne eigene Triebtraft von 19 237 mit 2 050 000 t im Jahre 1887 auf 22 923 mit 5 726 000 t im Jahre 1907 gestiegen, während die Zahl und Leistungsfähigkeit der Dampfer gleichzeitig von 1153 mit 140 000 Pferdekräften auf 3312 mit 485 000 Pferdekräften zugenommen hat.

Angesichts einer solchen Entwickelung ist doch auch die Annahme gestattet, daß das Schiffahrtsgewerbe nicht immer und nicht ganz in dem Umfange, wie es gegenüber vielfachen Klagen den Anschein haben könnte, als notleidend anzusehen ist. Denn die großen Kapitalien, welche für eine solche Vermehrung des Schiffsparks aufgewendet worden sind, können doch nur aus dem Erwerbe der Schiffahrttreibenden selbst entstanden oder aus den Händen von Geldgebern, die an die Möglichkeit des Verdienens mit der Schiffahrt glaubten, gekommen sein.

V. Finanzierung.

Geschichtlicher Rückblick.

Es entsprach in Deutschland einer Jahrhunderte alten Tradition, daß Wasserstraßen und Häfen mindestens für ihre finanzielle Selbsterhaltung durch Benutzungsgebühren aufzukommen hatten. In vielen Fällen – das gilt namentlich für die unter Schiffahrtszölle gestellten großen Ströme – hatten sie sogar Reineinnahmen für allgemeine Staatsbedürfnisse aufzubringen. Diese Tradition hatte um die Mitte des vorigen Jahrhunderts eine starke Erschütterung insofern erlitten, als man Reineinnahmen aus Schiffahrtsstraßen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 950. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/513&oldid=- (Version vom 20.8.2021)