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die Einbringung des Gesetzes zur Versicherung aller Arbeiter gegen die Gefahren des Alters und der Invalidität an.

Invalidenversicherung.

Trotzdem die Kranken- und Unfallversicherung in ihrer praktischen Durchführung sich durchaus bewährt und so dem Gedanken der Arbeiterversicherung neue Freunde gewonnen hatten, so begegnete die neue Vorlage in ihrer konkreten Gestaltung doch nicht minder mannigfachen Widerständen. Fürst Bismarck, der die Verhandlungen wesentlich Herrn Staatssekretär Boetticher überlassen hatte, sah sich genötigt, in der zweiten Lesung der Vorlage (am 29. März 1889) selbst nachdrücklichst einzugreifen, mit der Versicherung, daß er es als heilige Pflicht empfände gegenüber dem alten, hingeschiedenen Kaiser wie gegen seinen neuen Herrn, Kaiser Wilhelm II., der dieses von seinem Großvater so dringend gewünschte Werk durchaus vollenden wolle, seinen ganzen Einfluß für die glückliche Verabschiedung dieses Gesetzes einzusetzen. Er erreichte es denn auch, daß das Gesetz am 24. Mai 1889 mit der knappen Mehrheit von 20 (185 gegen 165) Stimmen angenommen wurde.

Zielbewußter Ausbau.

So hatte Kaiser Wilhelm II. das soziale Testament seines hochseligen Großvaters auch bezüglich der Invalidenversicherung durch dessen großen Kanzler zur glücklichen Durchführung gebracht. Aber auch nach dem Ausscheiden des Fürsten Bismarck hat der Kaiser das Werk mit gleicher Liebe und Treue geschützt und weitergeführt. Wenn auch Grundriß und Aufbau der verschiedenen Versicherungsgesetze im großen und ganzen die Probe des Lebens durchaus bestanden, so stellten sich doch in Einzelheiten bald mannigfache Unklarheiten und Lücken heraus. Namentlich aber – und das war die erfreulichste Wirkung – machten sich bald von allen Seiten Wünsche geltend auf Fortführung des Werkes: Erweiterung des Bereiches, Erhöhung der Leistungen usw. So folgte dann die Periode der Novellen, und zwar zur

Krankenversicherung vom 10. April 1892 und 25. Mai 1903,
Invalidenversicherung vom 13. Juli 1899,
Unfallversicherung vom 30. Juni 1900.

Sie stellten nicht bloß Verbesserungen, sondern den zielbewußten systematischen Ausbau der Grundgesetze dar. Neue Personenkreise wurden einbezogen, die Leistungen erheblich gesteigert, die finanziellen Grundlagen der Invalidenversicherung durch eine andere Verteilung der Lasten gefestigt, so daß namentlich die Novellen zur Invaliden- und Unfallversicherung in ihrer Bedeutung fast als ein neues großes Gesetzgebungswerk gelten können. Namentlich war es das Verdienst des Grafen Posadowsky und seiner Räte: von Woedke, Caspar, Kaufmann, Beckmann usw., daß sie so bald und glücklich unter Dach gebracht wurden. Sein gerechter Sinn, sein politischer Weitblick, seine Geduld und Ausdauer, verbunden mit einer hochgespannten Arbeitskraft, wußten alle Schwierigkeiten zu überwinden und hatten den Erfolg, daß diese umfassenden Gesetze fast einstimmige Annahme fanden, mit Einschluß der Sozialdemokratie.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/377&oldid=- (Version vom 20.8.2021)