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Universalität unseres Bankwesens die Männer an der Spitze haben, wird sie leichter in den Stand setzen, die großen Ziele und Aufgaben des deutschen Wirtschaftslebens zu erfassen und sich von Augenblicksgewinnen und Augenblickserfolgen fernzuhalten. Nachteile sind selbstverständlich ebenfalls vorhanden: man kann manchmal Zweifel darüber hegen, ob es für den Einzelnen noch möglich ist, den ungeheuren Geschäftsbetrieb der führenden Großbanken und aller unter ihrem Machtbereich stehenden Institute zu kontrollieren. Und man darf ferner nicht vergessen, daß die Monopolstellung der Riesenbanken den mittleren und kleineren Existenzen im Bankgewerbe das Weiterbestehen stark erschwert, zum Teil unmöglich macht. Immer mehr verschwinden auch im Bankgewerbe die selbständigen Existenzen und an ihre Stelle tritt, ganz wie sonst im Handel und in der Industrie, ein Heer von Angestellten, die ähnlich wie bei den Behörden in beinah bureaukratisch spezialisierter Arbeit ihr Brot finden. Alles in allem aber kann wohl nicht bezweifelt werden, daß die Konzentrationsbewegung bei Banken und Industrie für das deutsche Wirtschaftsleben, so wie es nun einmal ist, nützlich und beinahe notwendig war, denn ohne die riesigen Machtfaktoren, die wir in unserem Banksystem und in der Industrie besitzen, würden wir schwerlich den wirtschaftlichen Rang errungen haben, den wir heute einnehmen, und würden wohl kaum in der Lage sein, eine für die weitere Entwicklung richtige und erfolgreiche Handelspolitik zu treiben.

Gehen wir nun, nach diesen mehr allgemeinen Betrachtungen, etwas näher auf Einzelheiten ein, und sehen wir uns die Geschäftstätigkeit der deutschen Banken im letzten Vierteljahrhundert genauer an.

Das Depositengeschäft.

Unter den regulären Geschäften der Banken ist das Depositengeschäft ein ganz besonders wichtiges, denn im letzten Grunde beruht ja die Machtentwicklung unserer Großbanken auf dem Anwachsen der Depositen und fremden Gelder. Erst nach 1870 ist eine planvolle Pflege des Depositengeschäfts bei uns aufgenommen worden, und die Errichtung von Depositenkassen in den verschiedenen Teilen Berlins und seiner Vororte sowie an anderen Plätzen des Reichs, gewöhnte die Gewerbetreibenden und Kapitalisten langsam daran, auch die kleinsten verfügbaren Summen zinsbar anzulegen. Es dauerte viele Jahre, ehe das Publikum diese neue Art, über seine Gelder produktiv zu verfügen, annahm, denn es war bei uns üblich, viel größere Kassenbestände zu halten, als eigentlich nötig war. Das ganze Bankwesen war noch zu wenig entwickelt; nur die wenigsten Geschäftsleute und Private besaßen eine regelmäßige Bankverbindung. Der Scheckverkehr, Giroverkehr, Abrechnungsverkehr existierten nicht, und so mußten sich die Banken ihre Depositenkunden gewissermaßen erst schaffen. War es aber einmal gelungen, einen Geschäftsmann zu einer dauernden Verbindung mit der Depositenkasse zu bewegen, so entwickelte sich das übrige von selbst. Zunächst wurde dem soliden Geschäftsmann ein Kredit eröffnet, und aus der laufenden Geschäftsverbindung ergab sich dann die Hingabe von Depositen an die Bank. Der Kunde der Depositenkasse gewöhnte sich daran, seine Wechsel bei der Bank zu diskontieren, Schecks auf sie auszustellen, er ließ sich Akzeptkredit einräumen und besorgte durch die Depositenkasse auch den An- und Verkauf von Effekten.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/306&oldid=- (Version vom 20.8.2021)