Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/262

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

diesem auf manchen Gebieten agrarischer Produktion sogar überlegen ist. Die Marxistische Konzentrationstheorie trifft, wie heute allgemein feststeht, für die Landwirtschaft überwiegend nicht zu. Die soziale Differenzierung in der Industrie (zunehmende Abhängigkeit) erhält demnach durch diejenige in der Landwirtschaft ein starkes und sehr erwünschtes Gegengewicht, indem sie uns einen wirtschaftlich selbständigen produktiven Mittelstand sichert.

Doppelaufgabe der Handelspolitik.

Bei aller Schätzung der Industrie und der Anerkennung ihrer überragenden Stellung im neudeutschen Wirtschaftsleben kann deshalb keine Rede davon sein, daß die Landwirtschaft zu ihren Gunsten vernachlässigt werden dürfte. Beide, Industrie und Landwirtschaft, sind integrierende Bestandteile der deutschen Volkswirtschaft, die durch eben diesen Dualismus ihren entscheidenden Charakter erhält. Und jede, wie immer geartete Handelspolitik hat dem Rechnung zu tragen. Es ist ausgeschlossen, daß etwa die deutsche Handelspolitik dauernd im Sinne der Förderung des einen oder des andern Wirtschaftszweiges geleitet würde. Ihre wesentlichste Aufgabe wird sie immer darin sehen müssen, eine gleichmäßige Pflege von Industrie und Landwirtschaft durchzuführen. Es liegt auf der Hand, daß hierdurch die Situation bei dem Abschluß von Handelsverträgen nicht erleichtert wird, denn es fehlt an den bei ausschließlicher Pflege eines Wirtschaftszweiges zur Verfügung stehenden Kompensationsobjekten.

Untersuchen wir nunmehr, inwieweit die neueste Ära der deutschen Handels-Politik solcher Doppelaufgabe gerecht geworden ist. Dabei möge die früher für die Darstellung der Caprivischen Zeit gewählte Anordnung Platz greifen, d. h. die Untersuchung getrennt für Landwirtschaft und Industrie durchgeführt werden.

Körnerbau.

Beginnen wir mit der am Körnerbau interessierten Landwirtschaft. Die Einfuhr und Ausfuhr von Getreide in das deutsche Zollgebiet hat sich in den letzten Jahren wie folgt entwickelt:

  1890 1900 1912
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
in
Tonnen
in Mill.
Mk.
in
Tonnen
in Mill.
Mk.
in
Tonnen
in Mill.
Mk.
in
Tonnen
in Mill.
Mk.
in
Tonnen
in Mill.
Mk.
in
Tonnen
in Mill.
Mk.
Weizen 672 587 104,1 206 0,04 1 293 864 172,8 295 080 39,3 2 297 422 395,8 322 589 63,4
Roggen 879 903 98,1 119 0,02 893 333 100,2 76 092 8,6 315 723 43,8 797 316 125,4
Hafer 187 717 21,8 461 0,08 462 851 48,4 105 998 12,4 665 935 91,6 385 208 61,9
Malzgerste
Futtergerste
735 292 98,0 6425 1,3 781 458 92,8 30 368 4,5 2 969 413 39,5
404,6
1 156 0,2

Auf dieser Tabelle fällt zunächst in die Augen, daß trotz stark zunehmender Getreideeinfuhr auch die Ausfuhr im letzten Jahrzehnt eine ansehnliche Steigerung erfahren hat, die zum erheblichen Teile auf die Institution der Einfuhrscheine zurückzuführen ist. Der reine Einfuhr- bezw. Ausfuhrüberschuß –stellte sich in den angegebenen Jahren wie folgt:

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/262&oldid=- (Version vom 20.8.2021)