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zu befreien und auf anderem Wege zu schützen. Man hat nämlich die Oberfläche der Figuren mit Fluorverbindungen, sogenannten Keßlerschen Fluaten behandelt und dadurch einen steinartigen Überzug flußspatähnlicher Verbindungen geschaffen, welcher die natürliche Härte und die Widerstandsfähigkeit der Steinkörper erhöhte und zugleich ihren Farbenton ausglich und hob.

So schwierig auch diese Wiederherstellungsarbeiten waren, erscheint doch die Erhaltung dieser herrlichen Originale nicht um zu hohen Preis erkauft. Der Erfolg reizt zu weiterer Anwendung des wichtigen Verfahrens an. Welcher Preis ist zu kostbar, um das bekannteste Werk gotischer Baukunst, den Kölner Dom, vor dem Zerfall zu bewahren? Ein großer Teil des Domes ist aus dem Trachyt des Siebengebirges erbaut. Schon das frisch gebrochene Gestein zeigt, obwohl es an und für sich als harter, fester Körper gelten kann, die üble Eigenschaft, daß in ihm verhältnismäßig große Sanidinkristalle ausgesondert sind, die sich leicht aus der Einhüllungsmasse des Gesteins ablösen und unter Hinterlassung sehr glatter Flächen an den Stellen, an denen sie saßen, ausspringen. Liegen in Gesteinsstücken zufällig mehrere solche Kristalle in unmittelbarer Nähe zusammen, sind sie voneinander nur durch dünne Schichten der dichten Gesteinsgrundmasse getrennt, dann haben die angreifenden Atmosphärilien ein um so leichteres Spiel. Zu spät hat man den Fehler des Gesteins erkannt und verwendet jetzt den Trachyt bei Wiederherstellungsarbeiten nicht wieder. Dem rastlosen Eifer der Baufachleute wird es gelingen, die alten Bauteile des Domes durch Mittel, die ihnen der Chemiker liefert, gegen weiteren Zerfall zu schützen. Über eine Reihe solcher Mittel verfügt die Mörtelindustrie schon heute.

Zementindustrie.

In der Zementindustrie ist als wichtigster Fortschritt der letzten Jahre die Einführung des Drehofens zum Brennen von Zement zu verzeichnen. Ein Drehofen ist ein langes, mit feuerfestem Futter ausgekleidetes, etwas geneigt liegendes und ständig gedrehtes Rohr, das in der Regel durch eine Kohlenstaubfeuerung beheizt ist. Die Rohzementmischung wird in das Rohr eingeführt und in ihm so stark erhitzt, daß sie dicht zusammensintert. Das den Drehofen verlassende Gut ist fertiger Zement, der nur noch der feinen Mahlung bedarf. Der erste deutsche und europäische Drehofen ist von C. von Forell in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu Lollar bei Gießen erbaut worden. Jetzt ist der Ofen in Deutschland schon sehr verbreitet, und mehrere bewährte deutsche Ofenbauanstalten beschäftigen sich mit der Errichtung solcher Anlagen. Das verdient aber auch der Drehofen. Denn während die üblichen Schacht- und Ringöfen, was den Ofeneinsatz betrifft, eine erhebliche Brenndauer haben und verlangen, daß das in sie eingesetzte Gut vorher erst in Ziegelform gebracht wird, damit die Ofenglut es zu durchdringen vermag, was zusammen einen Zeitaufwand von etwa 8–14 Tagen ausmacht, wird dem Drehofen das Gut ungeziegelt übergeben und verläßt ihn fertig gebrannt schon nach 1–2 Stunden. Es ist dann auch nicht notwendig, große Lagerplätze für das Stapeln von Rohziegeln zu unterhalten. Der Drehofen leistet seine Arbeit unabhängig von Wind und Wetter und unabhängig von der Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit einer großen Zahl von Händen. Denn die Natur seines Betriebes bringt

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/182&oldid=- (Version vom 17.8.2017)