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wird dahin gestrebt, diesen Körper auf einem anderen Wege herzustellen, so ist denn die Zahl der Farbstoffpatente einschließlich der Rohmaterialien eine ganz enorme und beträgt unter den bis heute überhaupt erteilten ca. 267 000 deutschen Patenten nicht weniger als an 20 000.

Baumwollenfarbstoffe.

Unter denjenigen Teerfarbstoffen, welche in dem letzten Vierteljahrhundert eine besondere Bedeutung erlangt haben, ist zunächst die Klasse der substantiven Baumwollfarbstoffe zu erwähnen, welche die Eigenschaft besitzen, Baumwolle und Leinen direkt ohne Beize zu färben. In dieser Zeit haben sich weiter eine große Anzahl von schönen und echten Anthrazenfarbstoffen an das bereits bekannte Alizarin und dessen Abkömmlinge, gereiht, wie die sauer färbenden Anthrazenabkömmlinge und das schön blaue Indanthren. Ferner wurden eine große Anzahl von in Wasser unlöslichen Azofarbstoffen, welche teils auf der Faser, teils als Pigmentfarben Verwendung finden, erfunden. Bemerkenswert war die Klasse der Schwefelfarben, welche eine Fundgrube für echte schwarze und blaue echte Farbstoffe war, von welchen besonders das billige Schwefelschwarz und das schöne Hydronblau zu erwähnen sind.

Künstlicher Indigo.

Ein Triumph der Teerfarbenindustrie der letzten 25 Jahre ist jedoch in erster Linie die nach vielen vergeblichen Versuchen endlich gelungene Auffindung von Verfahren, den Indigo, den am meisten gebrauchten organischen Farbstoff, fabrikmäßig herzustellen.

Bekanntlich hat nach der Eröffnung des Seewegs nach Ostindien der in vielen tropischen Ländern, namentlich in Ostindien erzeugte Indigo nach und nach den deutschen, aus der Waidpflanze besonders in Thüringen gewonnenen Indigo verdrängt.

Noch im Jahre 1888 betrug der Verbrauch an natürlichem Indigo in Deutschland 1180 Tonnen im Werte von 17 Mill. Mark.

Schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich die Wissenschaft vielfach mit diesem wichtigsten aller Farbstoffe beschäftigt, aber erst vor etwa 30 Jahren gelang es Adolf Baeyer, ihn künstlich herzustellen. Technisch wurde er zuerst von der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik nach einem von Heumann (1897) erfundenen Verfahren fabriziert. Diese Firma und die Höchster Farbwerke sind heute die Hauptproduzenten des ohne Beihilfe der Pflanze erzeugten Indigos. Die Ausgangsmaterialien dafür sind die aus dem Steinkohlenteer stammenden farblosen Kohlenwasserstoffe: Naphthalin und Benzol. Hieraus werden täglich über 20 Tonnen künstlicher Indigo hergestellt.

Eine Hauptausfuhr von Deutschland findet heute besonders auch nach denjenigen Ländern statt, in welchen Pflanzenindigo früher am meisten hergestellt und verwendet wurde, nach Ostindien und nach China. Für das Jahr 1912 wird der Wert dieser Ausfuhr mit über 45 Mill. Mark angegeben. Demgegenüber ist die Einfuhr des natürlichen Indigos nur noch klein und wird wohl bald ganz aufhören. Sie betrug im vorigen Jahr an Wert etwa eine halbe Million Mark.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/155&oldid=- (Version vom 2.10.2016)