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durch den Bau unserer Flotte den vollen Übergang zur Weltpolitik vollzogen. Unser Aufstieg zur Weltpolitik ist geglückt. Wir haben uns von keiner Macht gegen die andere vorschieben lassen und für niemanden die Kastanien aus dem Feuer geholt. Durch unsere ruhige Haltung während des Burenkrieges haben wir der Erregung, die seit dem Krüger-Telegramm in England herrschte, die erste Schärfe genommen und England auch im weiteren Verlauf der Dinge keinen Anlaß gegeben, uns während des Baues unserer Flotte in den Arm zu fallen. Auf der anderen Seite ist es bei sorgsamer Pflege des Dreibundes nicht zu Zusammenstößen mit dem Zweibund gekommen, die die Fortführung unseres Flottenbaues aufgehalten hätten. Zwischen französisch-englischer Entente und Zweibund haben wir einen schmalen Weg gehen müssen, der schmäler wurde, als die französisch-englische Entente sich zur Triple-Entente weitete, und nur mit angestrengtester Vorsicht gangbar blieb, als England uns mit einem Netz von Bündnissen und Ententen umgab. Als endlich während der bosnischen Krise der internationale Horizont sich lichtete, als die deutsche Kontinentalmacht das Einkreisungsnetz zerriß, da waren wir mit unserem Flottenbau über das Stadium der Vorbereitung bereits hinaus.

Der Flottengedanke in Deutschland.

Neben den Schwierigkeiten der auswärtigen Politik gingen, wenn auch leichter überwindlich, Schwierigkeiten der inneren Politik. Es ist uns Deutschen nicht gegeben, spontan und freudig den Forderungen einer neuen Zeit entgegenzukommen. Goethe traf den Kern unserer Stärke, aber auch unserer Fehler, wenn er sagte, es sei der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer würden. Der sprichwörtliche Kampf zwischen der alten und der neuen Zeit ist in unserer Geschichte weniger als bei anderen Völkern unterbrochen worden, und jede irgend bedeutsame Phase unserer nationalen Entwicklung zeigt ihn immer wieder in ungebrochener Stärke. Wenn sich aber bei uns Neuerungen an stärkeren Widerständen zu reiben haben als anderswo, so ist unsere Entwicklung doch letzten Endes nie zu dauerndem Schaden aufgehalten worden. Wir können sogar sagen, daß die ständige Begleitung einer widerstrebenden Kritik uns Deutsche besser als manches andere Volk vor gefährlichen Neuerungen geschützt und uns den ruhigen Aufstieg, den sicheren Fortschritt gebracht hat, dessen wir heute froh sein dürfen. Das meinte Bismarck, wenn er einmal äußerte, die Regierenden in Deutschland bedürften des Stacheldrahtes der Kritik, der sie dadurch auf dem rechten Wege erhielte, daß sie Gefahr liefen, sich die Hände blutig zu reißen, wenn sie zu exzentrische Bewegungen unternähmen. Damit hat Bismarck natürlich nicht sagen wollen, daß die Kritik immer oder auch nur überwiegend im Rechte sei. Aber die Stärke der verneinenden Kräfte zwingt Ernst, Macht der Überzeugung und Kraft der Überredung einzusetzen und sich wirklich klar zu werden über die Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten. Wo es immer in Deutschland gelungen ist, die Volksmehrheit mit Einschluß anfänglich widerstrebender Kreise von der Notwendigkeit einer Sache zu überzeugen, da konnten wir erfahren, daß die neue, langsam gewonnene Überzeugung auch unlösbare Wurzel schlug.

Der Flottengedanke ist heute deutsches Allgemeingut geworden. Von den ausgesprochensten

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/65&oldid=- (Version vom 31.7.2018)