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7. Die Landgemeinden.

Während die Verhältnisse der Städte in der ganzen Monarchie, ja für ganz Deutschland, im wesentlichen einheitlichen Charakter auf der Grundlage der Steinschen Städteordnung tragen, ist dies für die Landgemeinden nicht der Fall. Die Landgemeindeordnung von 1891 für die östlichen Provinzen hat an den tatsächlichen Zuständen keine erheblichen Änderungen hervorgebracht und eine Vereinheitlichung des Landgemeinderechtes durch Annäherung der östlichen Einrichtungen an die des Westens nicht zu bewirken vermocht. Zwar bestehen für die eigentlichen Landgemeinden, die Bauerndörfer, in ganz Deutschland ziemlich gleiche Verhältnisse; die Verwaltungseinrichtungen des Ostens sind für die Dörfer sogar noch selbständiger als in einem großen Teile des Westens, wo die napoleonischen Verwaltungsgrundsätze in der Form der, übrigens trefflich bewährten, Landbürgermeistereien der Rheinprovinz und der „Ämter“ in Westfalen die Organisation und Verwaltung der Landgemeinden beherrschen. Aber die auch heute noch in sämtlichen östlichen Provinzen – in der Zahl von zirka 16 000 – bestehenden besonderen Gemeindeeinrichtungen für den großen Grundbesitz, die „selbständigen Gutsbezirke“, lassen eine einheitliche Organisation der ländlichen Verwaltung in diesen Landesteilen nicht zu. Diese Verhältnisse sind das Ergebnis einer langen Geschichte und nur eine lange Geschichte wird sie ändern können; durch Parlamentsreden oder Zeitungsartikel gegen veraltete „feudale“ Zustände lassen sie sich nicht beseitigen. Und wer historisch denken zu müssen angesichts der großen Geschichte des preußischen Staates sich verpflichtet fühlt, der wird nicht vergessen, daß die großen Krisen dieses preußischen Staates im Siebenjährigen Kriege und dann wieder in den Freiheitskriegen nur deshalb nicht zu unheilbaren Katastrophen wurden, weil der große Grundbesitz durch seine oft die Leistungsfähigkeit übertreffende Opferfähigkeit in erster Linie das historische Verdienst beanspruchen darf, die Überwindung dieser Krisen ermöglicht zu haben. Auch volkswirtschaftlich wird der Großbetrieb in der Landwirtschaft im ganzen immer ertrags- und erfolgreicher sein als der Kleinbetrieb.

Demgegenüber steht die Notwendigkeit, bei steigender Bevölkerungsziffer der kleinen Landwirtschaft freie Bahn zu schaffen. Die Strömung der Zeit ist dem Großgrundbesitz nicht günstig, ja sie ist nicht selten direkt ungerecht gegen ihn.

Durch Aufteilung von hierzu geeigneten Domänen, Urbarmachung und Erschließung von bisher ertragsunfähigem Boden (Moorschutzgesetz von 1913), Erleichterung der Bildung von Kleingrundbesitz in Form von Rentengütern und durch andere Maßnahmen befördert der Staat das Bestreben der Herstellung und rechtlichen Sicherstellung von kleinem Bauernbesitz; aber der Staat wird in seinem eigensten Interesse dafür Sorge tragen müssen, daß auch der Großgrundbesitz lebensfähig bleibt und die richtige Mischung von Groß- und Kleingrundbesitz nicht verloren geht.

8. Zweckverband.

Ein neuer verwaltungsrechtlicher Gedanke wurde dem preußischen Verwaltungsrecht eingefügt im Zweckverband. Eine besondere Ausgestaltung fand dieser Gedanke für die Stadt Berlin, für „Groß-Berlin“. Im übrigen wurde durch Gesetz ein allgemeiner verwaltungsrechtlicher Rahmen des

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/192&oldid=- (Version vom 4.8.2020)